Zeitzeugenberichte | Dokumente aus dem Politischen Archiv des deutschen Auswärtigen Amts

Quelle: DE/PA-AA/R14087

Der Korrespondent der „Kölnischen Zeitung“ an das Auswärtige Amt

Konstantinopel, den 5. September 1915

Streng vertrauliche Informationen!

Von armenischer Seite werden mir folgende Tatsachen zu den Armenierverfolgungen mitgeteilt. Sie sind sicher im grossen und ganzen richtig. Es giebt andererseits auch sehr wenig Türken mit denen man offen über die Armenierfrage reden kann, gleich bricht selbst bei sonst gebildeten und weltgewandten Menschen eine Wut durch, die alles in einen Topf wirft und die immer mit dem Refrain endet: „Alle Armenier gehören ausgerottet, sie sind Verräter!“ Natürlich sind mir die wichtigsten Tatsachen der armenischen Darstellung auch von anderer Seite bestätigt, nur die Auffassung bleibt subjektiv.

Die armenischen Freiwilligenkorps wurden natürlich auf russischem, nicht auf türkischem Gebiet gegründet, durch Komités, die schon seit Jahrzehnten bestanden und die Lostrennung Armeniens von der Türkei offen erstrebten. Als Enver Pascha im Dezember den armenischen Kriegsschauplatz besuchte, stellte er fest, dass die Türken ebenso gegen die Armenier wie gegen die Russen zu kämpfen hatten. Trotzdem wurde erst sehr viel Wochen später die Festung Erserum von den Armeniern geräumt, ein Beweis, dass die diesseitigen (türkischen) Armenier sich lange Zeit völlig korrekt verhalten haben. Der Zustrom aus türkisch-Armenien zu den Russen begann erst im März als man in Wan unter den Armeniern (ob prophylaktisch oder nach vorgekommenen Verrat kann ich nicht feststellen) Waffen konfiszierte. Gleichfalls im März wurden dann verschiedene armenische Notabeln, darunter der Abgeordnete von Wan, Wramian und der Abgeordnete von Bitlis Papasian, verhaftet. Als die Freunde sich dem widersetzten und protestierten begannen in Wan und den Dörfern des Wilajet die Massendeportationen und Greueltaten. Darauf entstand erst eine offene Revolte und zahlreiche Armenier vereinigten sich mit russischen Banden. Im Laufe der heftigen Kämpfe, die etwa zwei Monate dauerten, erstürmten die Armenier mehreremals Wan, das, nachdem es erst neulich, wie natürlich wieder verschwiegen wird, nach kurzem Besitz, (8 Tage) den Türken verloren ging, nicht weniger als fünfmal den Besitzer gewechselt hat.

Die Verhaftungen in Konstantinopel begannen am 24/25. April als Folge der Erstürmung Wans durch die Armenier. 850 Personen sowohl Orthodoxe wie Protestanten, wie Katholiken wurden damals deportiert, darunter der höchst angesehene Abgeordnete von Konstantinopel selbst, der Advokat Sorab, der Deputierte von Erserum, Wartakes, (der mit Talaat Bei sehr gut stand), etwa 10 Bischöfe, 40 Aerzte, 10 Anwälte, daneben aber auch viele aus dem unteren Bürgerstand und Proletariat. 250 von den Verhafteten wurden nach Ajasch im Wilajet Angora, die übrigen nach Dschangere im Wilajet Kastamuni geschafft. Am 24. April abends wurden bei einer Haussuchung in den Räumlichkeiten der Zeitung „Asadamart“ d.h. „Freiheitskampf“ die zugleich Lokal des Klubs der „Taschnakzutionisten“ waren, sämtliche Politiker, Journalisten etc. verhaftet, Korrespondenz beschlagnahmt. Die Zeitung hatte trotz ihres revolutionären Namens seit fünf Jahren bestanden, war von der Regierung nicht schlecht angesehen, ja hatte sogar eine Entente mit dem jung-türkischen Komité.

Gleichzeitig mit diesen Verhafteten in der Hauptstadt wurde auch in den Wilajets Erserum, Siwas, Diarbekr, Kharput, Bitlis und Trapezunt Befehl gegeben, die Massendeportationen zu beginnen. Seitdem hat die systematische Verfolgung der Armenier überall ununterbrochen fortgedauert. Es ergiebt sich nun für die einzelnen Wilajets und Städte ein verschiedenartiges Bild, sodass wir sie am besten in vier Serien einteilen:

I. Konstantinopel: Hier war – begreiflicherweise – die türkische Regierung bisher am zurückhaltendsten. Zuerst verhaftete und deportierte man die nichtverheirateten Männer (die aus dem anatolischen Wilajet bis excl. Siwas östlich gerechnet) stammen, dann alle verheirateten und ledigen Männer, deren Heimat die Provinzen Armeniens sind, erstere samt den Familien. Bisher wurden so etwa 2000 Männer, 50 Familien deportiert. Ueber die in der kurzen Frist von oft nur ein paar Stunden, ohne Möglichkeit einer Ordnung der Geld- und Familienangelegenheiten liegende Grausamkeit brauche ich mich nicht zu verbreiten. Oft wurde wertvoller Hausrat zu spottbilligen Preisen verschleudert. Die Regierung hat die Massnahmen in Konstantinopel bisher so hinzustellen versucht, als handele es sich nur um politisch Verdächtige. Das ist einfach lächerlich. Die harmlosesten Menschen aus dem Volke wurden deportiert und zwar mit einem ganz bestimmten System. 14 Tage lang; in diesen 14 Tagen in einem Stadtbezirk. Sind z. Bsp. wie in meinem Hause, zwei Hausmeister, so wird der eine heute, der andere in einem Monat weggenommen und verschwindet, wer weiss, wohin! Auf der Strasse ruft ein Polizist die Vorübergehenden, die einen Fes tragen, einfach heran, lässt sich die Wessika (Aufenthaltsschein) zeigen und wenn es ein Armenier ist, muss er gleich mit, alles geschieht ohne vorherige Warnung, in Form einer polizeilichen Verhaftung. Tag und Nacht kann man überall in der Stadt je einen Polizisten mit zwei Gendarmen herumstreifen sehen auf der Suche nach Armeniern und heute (Sonntag) hat die Polizei selbst an den Kirchentüren der katholisch-armenischen Kirche in Pera Aufstellung genommen, und verlangt die Pässe ab. Das mag nun zwar gerade den Eindruck machen, als fahnde man auf Verdächtige, aber ich kann nach authentischen Informationen versichern, dass man durchaus wahllos vorgeht und nur darum die Zahl der Deportationen beschränkt, weil man sich angesichts der Botschafter noch nicht so ganz zu Massregeln in demselben grossen Stil wie in den Provinzen getraut. Man will erst dort reinen Tisch machen, dann kommt die Hauptstadt an die Reihe; das ist in den durchaus türken-freundlichen Kreisen der allgemeine Eindruck.

II. Vollständig von Armeniern geräumt und der Schauplatz gewesen von regelrechten Massacres, Greueltaten aller Art, Schändungen, gewaltsamen Bekehrungen etc., sind:

Die Wilajets Erserum und Trapezunt (hier ein Teil zum Islam bekehrt) sowie die Städte Siwas, Kharput, Kaisarije, Yozgad, Amasia, Mersifan, Marasch. Die Deportierten werden nach Urfa, Biredschik, Sor, usw. geschickt, also in weitentlegene, zumteil arabische Gegenden, wo sie herausgerissen aus ihrer Umgebung, sicher halb zugrunde gehen müssen. In gewissen Städten werden die Männer in Haft behalten, die Frauen und Kinder ohne Aufsicht und ohne jede Fürsorge und in Elend allein verschickt. Der Unterschied, dass in einigen Wilajets nur eine oder mehrere Städte, anderswo wieder das ganze Wilajet so behandelt worden ist, erklären sich aus dem verschiedenen Charakter der Generalgouverneure (Walis) die völlig freie Hand haben. Ein Beispiel in dieser Beziehung ist Angora, das durch die Massacres vom letzten Sonntag besonders traurig aktuell geworden ist. Dort hatte sich, wie mir Armenier erzählten, trotz wiederholter Aufforderung der Centralregierung, der Wali Masar Bei geweigert, die rigorosen Massregeln wahllos und summarisch auf die ganze armenische Bevölkerung auszudehnen und wurde dann abgesetzt. Jetzt sind grade in Angora, das als grosse, an der Eisenbahn liegende Stadt in täglicher Verbindung mit Konstantinopel, als Hauptort des Wilajets und Sitz hoher Gerichtsinstanzen den Armeniern noch relativ günstige Daseinsbedingungen bot, und das weit genug vom östlichen Kriegsschauplatz entfernt liegt, um den Gedanken an eine Verdächtigkeit grosser Teile der männlichen Bevölkerung ganz ausscheiden zu lassen, wirklich scheussliche Dinge vorgekommen. In Angora sind die Hauptmasse der Armenier Katholiken. Diese sind naturgemäss, weil bei ihnen der Verdacht einer nach Russland schielenden irredentistischen Gesinnung ferner liegt als bei den orthodoxen, von der türkischen Regierung etwas weniger schlecht angesehen als letztere. Die angeblich von Talaat Bei versprochenen Milderungen sollen sich auch in der Hauptsache auf den katholischen Teil der Armenier beziehen. Anfangs hatte man daher auch in Angora nur orthodoxe Männer deportiert, dagegen unter den katholischen nur einige, wenige Verhaftungen vorgenommen. Am Sonntag vor acht Tagen aber liess der neue Wali, Atif Bei, eine Kreatur des Polizeidirektors Dschambolat von Konstantinopel, eines fanatischen Armenierhassers und Nationalisten, nach Verhaftung der katholischen Armenier ein grosses Massacre unter den Frauen anrichten oder geschehen, dass dabei alle Scheusslichkeiten, auch Missbrauch und Raub junger Mädchen vorgekommen sind. Es wurde mir auch überall, wo ich darüber nachfragte, bestätigt. In ihrer Verzweiflung eilten die Frauen zu dem 20 Minuten entfernten Bahnhof aber nur, um unterwegs den Türken in die Hände zu fallen. Die grösstenteils armenischen Bahnangestellten hatten sich auf einen Zug nach Erkischai geflüchtet, der Bahnverkehr nach Angora wurde unterbrochen. Hier gehen Gerüchte von 6000 armenischen Opfern. Für die Stadt Angora dürfte dies vielfach übertrieben sein; für das Wilajet nicht.

III. Eine einfache Räumung von Armeniern ohne besondere Grausamkeiten fand statt in den Wilajets Adana, Konia und Brussa, in Sandschak, Ismid und in der Stadt Adabasar. Diese Deportationen datieren seit ein bis zwei Monaten. Aus diesen Gegenden hörte ich ganz besonders drastische Beispiele von Verschleuderung von wertvollem Hausrat, Hab und Gut. Singernähmaschinen sollen für ein paar Medschidieh (à 20 Piaster) zu haben gewesen sein. Armenischerseits wird nur zugegeben, dass man in Adabasar etwa 300 bis 400 Mauser unter den Armeniern fand; man bestreitet aber jede mit dem jetzigen Krieg zusammenhängende revolutionäre Bewegung, Adabasar liegt ja auch noch weiter vom Kriegsschauplatz entfernt als Angora. Man stellt das Vorhandensein der Waffen so dar, als ein stets notwendiger Schutz einer bedrückenden, zu Uebergriffen geneigten nichtarmenischen Bevölkerung. In Angora sollen keinerlei Waffen vorhanden gewesen sein.

IV. Einen besonderen Typus stellt Seitun (Wilajet in Adana) dar, wo schon sechs Monate vor dem Weltkrieg eine systematische Räumung von der (hier besonders kraftvollen, unter Abdül Hamid eigentlich nie ganz unterworfenen) Armenierbevölkerung ins Werk geleitet worden ist durch Auseinanderreissen ganzer Familien und Zerstreuung nach allen Richtungen. Während des Krieges wurde die Räumung völlig durchgeführt. Ein wichtiger Zusammenhang darf hier nicht unerwähnt bleiben. Bekanntlich hat der in Paris lebende Scherif Pascha, ein Todfeind der Jungtürken, nebenbeibemerkt ein trauriges Individuum stets, schon seit Jahren, versucht, Attentate gegen die Jungtürken ins Werk zu setzen. Er brachte es fertig, sich bei seinen Plänen auch mancher Anhänger der ebenfalls in Paris lebenden Sabachkulian, der sogenannten “Hintschakisten“ die ein den Taschnakzutunisten analoges revolutionäres, armenisches Komité sind, zu bedienen. Besonders galt es Talaat Bei. Fast 20 Armenier, fast alle Hintschakisten, wurden seinerzeit im Mai auf dem Bajaridplatz gehenkt, obgleich das Komplott nur erst auf dem Papier stand und nach türkischem Recht der Versuch nicht wie bei uns unter Umständen ebenso strafbar ist wie die vollbrachte Tat. Die Strenge der Strafe erklärt sich eben durch die gerade auf dem armenischen Kriegsschauplatz vorgekommenen Dinge. Mit diesem äusserst losen, ja nur scheinbaren Zusammenhang erschöpft sich aber auch der Zusammenhang zwischen den Plänen Scherif Pascha, die als eine rein türkische Intrige zu bezeichnen sind und der armenischen Bewegung. Die türkische Regierung hat aber die nach Ausspruch aller gesetzlich denkenden Armenier „gebührende Bestrafung“ der Hintschakisten als einen willkommenen Anlass benützt, durch Veröffentlichung eines Communiques – des einzigen, das je in der Armenierfrage veröffentlicht worden ist. Meine eigene, wie die Depesche der anderen Korrespondenten wurde wohlweislich bis nach Erscheinen des amtlichen Communiques zurückgehalten, und unter Benützung der Tatsache, dass der Klub der Hintschakisten ein autonomes Armenien erstrebt, die Sache in bewusster Vermischung der Tatsachen beider Dinge so dargestellt, dass sie dadurch gegen die Armenier überhaupt aufreizen konnte und eine Rechtfertigung der grausamen Massregeln gegen die armenische Bevölkerung fand. In Wahrheit hatten die gehenkten Armenier, die Opfer und Werkzeuge einer innertürkischen Intrigue mit den Vorgängen in Armenien garnichts zu tun, obwohl sie zufällig Hintschakisten waren. So arbeitet die türkische Regierung. Soweit die Tatsachen.

Viel wichtiger aber als das Wohl und Wehe der Armenier die ja durchaus kein sehr sympatischer Menschenschlag sind, ist der grosse politische Zusammenhang und Hintergrund der Armenierfrage und sind die Zukunftsaussichten, die sich an sie knüpfen. Denn wenn in der Türkei alles so stände, wie wir es uns vom deutschen Standpunkt aus wünschen müssen, könnte man bei dem allgemeinen grossen Weh und Elend des Weltkrieges schliesslich auch noch über die Leiden der Armenier hinwegsehen. Leider ist es aber ganz anders. Wir haben zwar in den Armenierverfolgungen einen ziemlich plötzlich und offenbar aus Wut über die militärischen Verluste durch die zusammen mit den Russen kämpfenden armenischen Legionen unternommenen, aber längst über das Mass von Repressalien gegen Landesverrat und erst recht über das Mass von Vorsichtsmassregeln gegen solchen hinausgewachsenen sehr systematischen Versuch der völligen Zersplitterung und allmählichen Ausrottung des ganzen armenischen Volksbestandteiles vor uns. Die Armenier selbst sagen: “Abdül Hamid hat Massacres unter uns angerichtet aber doch konnten wir uns mit seiner Regierung wieder von Zeit zu Zeit vertragen; jetzt begeht man viel schlimmeres als Massakres. Man mordet und verdirbt langsam die ganze armenische Nation durch Zerreissung der Familie und getrennte Verpflanzung in einen ganz fremden Boden, entblösst von allem Hab und Gut. Wir könnten es noch verstehen, wenn man für jeden Landesverrat und Spionage einige hundert Männer hängt, als abschreckendes Beispiel, wir könnten begreifen, wenn man aus Wut über die Vorgänge auf dem armenischen Kriegsschauplatz dort tausende massakriert hätte wie zu Hamids Zeiten. Aber, was man den harmlosen Familien des fern vom Krieg gelegenen Anatoliens antut, das begreifen wir nicht. Jedes Massakre aus Wut wäre zu verstehen, diese raffiniert langsame, wohlüberlegte Deportierungspolitik aber nicht.“ Und sie haben ganz recht! Auch in massgebenden deutschen, türkenfreundlichen Kreisen hat man den Eindruck, dass es auf die Armenier als Ganzes abgesehen ist. Und manche sagen, nach den Armeniern kommen die Juden und Griechen dran. Und mancher denkt wohl im Stillen: und ganz zuletzt ekelt man auch die Deutschen aus der Türkei hinaus! Leider kann auch ich, der ich mit genug Optimismus den Türken gegenüber meine hiesige Aufgabe begonnen, schon nach ganz kurzer Zeit mich selbst dieses Gefühls nicht mehr entwehren! Meine Zuversicht, der ich in den Berichten vor Gallipoli Ausdruck verliehen habe, liegt auf militärischem Gebiet und bezieht sich auf die jetzige Lage: Deutschland als Verbündeter der Türkei. Die Türken werden durchhalten, mag es auch noch so lange dauern, das ist sicher. Manche Konzessionen musste ich in meinen Artikeln ja auch der türkischen Zensur machen, bezw. da ich die Artikel der Zensur niemals vorlege – der türkischen Regierung.

Man wird davon zu abstrahieren wissen. Wenn ich gesagt habe: z.Bsp. Enver Pacha steht gut mit der deutschen Militärmission, so ist das richtig, denn Enver braucht die Deutschen; ohne sie wären die Dardanellen längst forciert. Es sollte auch ein Dementi der während des Krieges höchst ungelegenen Ausstreuungen von feindlicher Seite sein, dass Differenzen beständen. Dass mein Artikel (I) aus Gallipoli Enver gefallen hat, glaube ich nicht. Auf die Armenierfrage, um darauf zurückzukommen, lege ich deshalb so grossen Wert, weil sie mir ein deutliches, vielleicht zurzeit ein drastisches Symptom für den herrschenden türkischen Geist ist. Die deutsche Botschaft hat oft genug und in freundschaftlicher aber bestimmter Form, der türkischen Regierung Vorhaltungen wegen der Armenierverfolgungen gemacht. Das Ungeheuerliche ist, dass es trotz des Verhältnisses deutsch-türkischer Waffenbrüderschaft und engen Bündnisses und trotzdem uns die Türken in diesem Krieg so notwendig haben, wie die Luft zum Atmen, die Regierung nicht für nötig findet, das deutsche Verlangen – das nur ihr Wohl will, denn längst sind alle armenischen Spione auf russisches Gebiet übergegangen oder gehenkt, und die weitere Zerstörung des fortschrittlichen armenischen Volkselements bedeutet nur schwere wirtschaftliche Schädigung, die die Türkei jetzt, wo der Krieg Anatolien geleert hat, besonders vermeiden müsste – wenigstens im grossen und ganzen zu erfüllen. Nein, es geht weiter im alten Stil; die Versprechungen sind vage und niemand glaubt ihnen und trotz aller Versprechungen geschahen noch ganz neuerdings Dinge, die ein Schlag ins Gesicht der Deutschen sind. Die Armenier sind natürlich, wie mir gegenüber oft genug gesagt worden ist, ohne Ausnahmen fest überzeugt, dass bei der Stellung, die Deutschland heute in der Türkei hat, ein energischer Schritt genügen würde, um Wandel zu schaffen. Sie können nicht begreifen, dass keine Aenderung eintritt, sie stecken sich hinter den amerikanischen Botschafter, der seinerseits den Türken ebenfalls ganz vernünftige Massregeln zur Linderung der Not der Armenier vorgeschlagen und mehreremals energische Schritte gegen die Verfolgungen getan hat. Der amerikanische Botschafter weiss darum auch, nachdem die Türken seine Einmischung abgelehnt haben, durch sein Land die ganze neutrale Welt zu beeinflussen, so dass schliesslich alles an eine deutsch-türkische Entente in der Armenierfrage glaubt und die Folge ein Feldzug gegen die deutsche Barbarei sein wird. Dabei versäumt die Botschaft nichts, um in dieser Frage Besserung zu schaffen! Aber diese Missachtung wohlgemeinter deutscher Ratschläge ist in doppelter Hinsicht höchst bemerkenswert: einmal ist sie ein Beweis, dass die Türken eben entschlossen sind, allmählich einen rein türkischen Nationalstaat zu schaffen, (wobei sie sich ihr Grab graben werden!) und dann ist dies alles nur eines der vielen Symptome erwachenden türkischen Hochmuts.

In ersterer Beziehung berufe ich mich auf das Urteil von Orientkennern massgebendster Kreise, die durchaus gut zur jungtürkischen Regierung stehend, sich vergeblich bemühen, zu einer weniger pessimistischen Auffassung über die Zukunft der Türkei gleich nach dem Krieg zu gelangen. Es ist ganz begreiflich, dass sich die Türken an den Armeniern zuerst vergreifen; sie haben nicht nur, geben wir es zu, manchen Anlass geboten, sondern sie sind auch die Schwächsten unter den Nichttürken, diejenigen, die sich am wenigsten wehren können. Die andern sind die Juden, Griechen und Europäer. Einstweilen findet es die türkische Regierung nämlich für gut, die den Armeniern verloren gehenden Stellungen, die sie nicht mit Türken besetzen können, den Juden zu geben. So wurden z.B. sämtliche armenische Angestellte der Orientalischen Eisenbahn durch Juden ersetzt. Griechen, die durch die Armenierverfolgungen ebenfalls sehr profitieren, waren natürlich auf dieser Strecke, auf der der ganze Etappendienst nach den Dardanellen geht, als politisch unzuverlässig nicht zu gebrauchen. Die Verwaltung der Anatolischen Eisenbahn dagegen hat sich bisher mit Erfolg gegen eine Entlassung ihrer armenischen Angestellten gewehrt. Bei militärisch so wichtigen Strecken wie die Orientalische E. B. erklärt sich schliesslich die Entlassung der Armenier; unglaublich aber ist, wie seitdem Salonik griechisch geworden, es wirtschaftlich gesunken ist, die von dort herbeiströmenden Juden sich überall in der Verwaltung und selbst in der Politik einzunisten verstanden haben. In dem Maasse, wie die Armenier verschwinden, nehmen die Juden ihre Plätze ein. Im Redaktionspersonal des „Hilal“ (H. heisst „Halbmond“ und die Zeitung, fast eine französische Ausgabe des Tanin, ist genau so gut Regierungsorgan wie dieser!) sitzen schon sehr viele Juden! Die Türken lassen es zu, dass die Juden sich breitmachen, da sie dies schutzlose Volk jederzeit unterdrücken und loswerden können, wann sie es nur wünschen. Einstweilen brauchen sie die Juden als Ersatz für die Armenier infolge ihres eigenen Mangels an Intelligenz und Geschäftssinn. Die Juden sind natürlich auch politisch zuverlässiger, richtiger gesagt farblos, denn am 18. März setzten sie alle den Hut auf und fingen an, französisch zu reden, jetzt tragen sie wieder den Fes und sprechen zunehmend deutsch! Die Griechen hofft man später einmal dranzukriegen, durch eine echttürkische Politik, wenn die Türkei durch unseren Sieg so stark geworden ist, dass das kleine Griechenland nichts mehr gegen die Chikanierung der griechischen Bevölkerung in der Türkei machen kann. Einstweilen sind die Armenier das Opfer. Die Türken sind aber zugleich feig in ihrer Unterdrückungspolitik. Das beweist am besten ihr Verhalten den Kurden gegenüber. Unter Abdül Hamid wurden die Kurden recht gut behandelt, nahmen hohe Stellungen ein und wurden von Zeit zu Zeit auf die Armenier losgelassen. Von den Jungtürken dagegen wurde der kurdische Einfluss ausgeschaltet, die Komitéregierung schaffte sich unter den Kurden manchen Todfeind, (so die bekannte Familie Abdurressak, die sich den Russen zuwandte,) zugleich fing der russische Rubel mit Erfolg unter den Kurden an zu arbeiten und die nur scheinbar niedergeschlagene Kurdenrevolte vom vorigen Jahre, (ich glaube Frühjahr 1914, wo der Kurdenführer Taha sich unter russischen Schutz stellte, war ein Beweis!) und ein Teil der Kurden einigte sich sogar mit den Armeniern, die sie früher zu massakrieren pflegten. Russland sucht natürlich ganz Kurdistan gegen die Türkei aufzuwiegeln, und ein sehr grosser Teil der Kurden auf dem armenischen Kriegsschauplatz hat ganz dasselbe getan wie die Armenier, ist mit den Russen zusammengegangen. Von irgendwelchen Repressalien in Kurdistan ist aber nicht die Rede gewesen. Die türkische Regierung hat eben Angst vor den Kurden.

Der innerste Grund der Unterdrückung des armenischen Volks ist neuerlich unter dem Eindruck Enver Paschas, der Wiedergewinnung Adrianopols, der Siege an den Dardanellen u.s.w. aufflackernder Nationalismus und mohamedanischer Fanatismus. Die Ententefreunde hier behaupten natürlich nebenbei auch, da die Türken das Bewusstsein hätten, dass die Dardanellen doch noch forciert würden und die Türkei den Krieg verliere, so wolle man, um einen möglichst grossen Teil von Kleinasien bei den Friedensverhandlungen für sich zu retten, die Grossmächte, namentlich Russland, vor eine vollendete Tatsache stellen und sagen können, all jene Provinzen seien rein türkisch, es gebe keine Armenier dort. Deshalb räume man sie jetzt von allen nichttürkischen Bestandteilen. Eine Kritik dieser Auffassung erübrigt sich zwar, sie beweist aber jedenfalls, dass die kurzsichtige türkische Verwüstungspolitik auf Hohn stösst. Etwas anderes dagegen ist als ein tatsächlicher Faktor bei der türkischen Berechnung anzuerkennen. Die Armenier, dieses höchst intelligente, betriebsame und anpassungsfähige Volkselement, war bisher – d.h. vor der vorübergehenden starken Verjudung! – entschieden die Gruppe, die am meisten Fühlung mit den regierenden Kreisen hatte. Selbst Minister zählten die Armenier zu den Ihren. Die Griechen, die sich zwar in diesem Krieg trotz der ausnahmslosen Feindschaft gegen die Türkei, auf grosshellenischem Irredentismus beruhend, auch der allgemeinen Spionenwitterung gegenüber fast stets geschickt aus der Affäre zu ziehen wussten, (nur die Ufer des Bosporus wurden aus rein militärischen Gründen von den Griechen geräumt, aber ohne Grausamkeiten,) waren doch von den Türken stets als ein durchaus fremdes Element angesehen worden. Nicht so die Armenier, die als ein wirklicher Bestandteil des osmanischen Reiches galten und nicht in dem Bestehen eines freien, unabhängigen armenischen Volks über der Grenze drüben einen Grund zu irredentistischen Bestrebungen hatten. (Der Armenier sieht auch in Russland durchaus nicht ein Ideal, er weiss, dass die geographische Lage seines Landes ihm jede Aussicht auf Selbständigkeit raubt, und wenn er heute mit seinem Blut an der Eroberung türkischer Stellungen durch die Russen hilft, so ist dies nur ein Beweis für die furchtbar schlechte türkische Regierung, die ihn bedrückte, trotz aller Reformprojekte!) Deshalb ist, vom alttürkischen Standpunkt betrachtet, der Armenier ein gefährlicherer, weil mit den Verhältnissen enger verwachsener Gegner und Konkurrent, der zuerst beseitigt werden muss. Ihn auszurotten, muss schon während des Kriegs begonnen werden; er muss mühsam nach allen fernen Landesteilen deportiert werden, während die zahlreiche griechische Bevölkerung im geeigneten Zeitpunkt, d.h. wenn Griechenland der erstarkten Türkei überhaupt nichts mehr antun kann, aufgrund einer einzigen Willkürmassregel, die ihr im Handel den Lebensnerv unterbindet, von selber nach Griechenland abwandern wird. Die Regierung will nicht abwarten, bis steigender deutscher Einfluss nach dem Krieg die Vertreibung der Armenier erschwert, deshalb tut sie jetzt schon ihr möglichstes; sie kann aber in Kriegszeiten den Armeniern nicht einfach einen Ausweisbefehl geben, denn erstens mangeln die Reiseverbindungen nach dem Ausland, und zweitens will sie nicht, dass so zahlreiche Menschen die Türkei verlassen, die alles wissen, was im Innern vorgeht, und auf diese Weise Kunde davon nach dem feindlichen Ausland tragen. Deshalb zieht man das mühselige (für die Betroffenen wie für die Regierung!) und grausame System der Deportationen vor. Eine Zeitlang hatte man Frauen und Kindern das Verlassen des türkischen Staatsgebiets gestattet; dann (Anfang August) zog man auch diese Erlaubnis zurück.

Ich will nun meine Ausführungen nicht so verstanden wissen als ob eine Spannung zwischen Deutschen (überhaupt Europäern) und Türken unmittelbar bevorstände oder gar schon begonnen habe. Im grossen ganzen beherrschen wir Gott sei Dank noch die Situation, und solange der Krieg dauert, wird alles gut gehen. Pessimisten sehen zwar auch schon in einem so harmlosen Wort Enver Paschas wie dem Passus in seinem Telegramm an den Kronprinzen, dass „er hofft, die Feinde bald ins Meer werfen zu können,“ eine Andeutung, dass es Enver lieber ist, mit dem Feind allein fertig zu werden und er jetzt schon der Entsendung deutscher Truppen hierher nach Oeffnung des Wegs durch Serbien vorzubauen wünscht. Dass die Türken Munition und Geschütze und verkaufte Kriegsschiffe lieber haben als eigentliche Truppensendungen, ist sicher, aber einem so weitgehenden, übertriebenen Misstrauen deutscherseits kann ich mich doch nicht anschliessen. Tatsache scheint mir aber, dass die Türken uns Deutsche ziemlich satt haben, nur militärisch noch nicht, weil sie uns noch brauchen. Der Türke, echter Orientale, wird sich sehr bald nach dem Krieg wieder durch das französische Wesen beeinflussen lassen; eine andere Frage ist freilich, ob der französische Einfluss materiell irgendwie nennenswert sein wird. Die Periode wirklicher Spannung mit uns Deutschen liegt wohl noch in ziemlicher Ferne, ihr Zeitpunkt hängt auch davon ab, was wir in Anatolien u.s.w. wollen werden. Der ganze Zweck meiner heutigen vertraulichen Mitteilungen ist, vor einem Optimismus sowohl in der Frage der Aufschwung der Türkei wie der deutsch-türkischen Beziehungen zu warnen. Eine solche Warnung jetzt schon auszusprechen, halte ich für notwendig, weil der wohl noch lange Zeit bestehende Zustand der Zensur es mir und Anderen verbieten wird, in der Zeitung das zu veröffentlichen, was der vollen Wahrheit entspricht; so könnte leicht ein falsches Bild entstehen. Ich will nun zum Schluss meiner langen Epistel nur noch einiges Wenige anführen, was ich als Symptome für diesen erwachenden türkischen Geist betrachte: Dieser Geist ist, das fand ich bemerkenswert, auch dem ausserordentlichen Botschafter Fürst Hohenlohe gleich aufgefallen. Als derselbe mich kurze Zeit nach seinem Eintreffen empfing, gerade kurz genug, um erst die wichtigsten Eindrücke aufgenommen zu haben, aber zugleich lange genug, um sich schon ein klares Bild machen zu können, erwiderte er mir auf eine Frage, der jeder Andeutung meines eigenen Eindrucks fehlte, sofort: „Es wird sehr interessant sein, zu sehen, wie Deutschland sich mit dem erwachenden türkischen Nationalismus abfinden wird!“ (Ich bitte, diesen Ausspruch ganz besonders vertraulich zu behandeln!) Dieser Eindruck schien beim Botschafter alle anderen zu überwiegen.

Dass die Türken die Kapitulationen so plötzlich abgeschafft haben, war bereits ein deutliches Symptom des Geistes, der weht. Eben durch diese Abschaffung, die der schwierigste erste Schritt auf diesem Wege war, sind sie in der Lage, das ganze Verhältnis zu den Europäern sehr schnell nach Belieben zu ändern. Wir Deutsche haben auch absolut keinen Grund, uns über die von Talaat Bei im Juni verfügte völlige Unterdrückung aller Firmenschilder in französischer Sprache zu freuen. Unter dem Vorwand, dass französisch eine feindliche Sprache sei, tat man dem ersten Schritt, indem man die tatsächliche europäische Verkehrssprache des Orients gewaltsam abschaffte, zugleich aber türkische Firmenschilder obligatorisch machte. Man muss aber nicht etwa glauben, dass damit die Zahl der deutschen Firmenschilder irgendwie zunahm. Die meisten deutschen Firmen, wohl wissend, was beabsichtigt war, beschränkten sich auf türkische Schilder und es ist sehr schwer, sich heute in Pera zurechtzufinden. Griechisch, armenisch, hebräisch behielt man, weil von sekundärer Wichtigkeit, noch einstweilen bei. Der Stoss sollte eben das Europäertum treffen, und in der französischen Sprache traf er es auch, und uns Deutsche ebenfalls mit! Und nun will ich nur noch auf einen Artikel des Hilal (vom 31.August) hinweisen, der nach meiner Ansicht eine Unverschämtheit und Anmassung ist. Dieses Organ des jungtürkischen Komités schreibt in einem Leitartikel „Devant l`ère nouvelle:“— C’est la renaissance militaire et politique aussi bien que morale et intellectuelle de notre pays — Le pays a prouvé qu`il peut, le cas échéant, se passer economiquement du concours étranger, se suffira à lui-même pour ses besoins stricts qu`il conserve intact son génie d’organisation, qu’il est richement doué de forces productrices. Nos hôpitaux ne le cèdent en rien aux meilleurs etablissements similaires de l`Europe“— etc. Und in demselben Artikel versetzt der Hilal noch den deutschen Professoren, die das türkische Unterrichtsministerium engagiert hat, um hier zu wirken, einen Hieb, indem es sagt, das wichtigste bleibe bei allem doch die Sprachenfrage und da sei zu bedauern, dass man den engagierten Lehrkräften eine unbestimmte Zeit gelassen habe, türkisch zu erlernen, anstatt sie kontraktlich zu verpflichten, binnen einer festgesetzten Frist es zu beherrschen!

Das mögen unbedeutende Einzelheiten scheinen. Aber sie weisen den Weg, den die Dinge gehen werden. Und um es zu wiederholen, ich wollte nur andeuten, dass ich ferne bin, in rosigen Optimismus zu verfallen. Die Zensur verbietet leider selbst Mitteilungen über wirklich oft ganz harmlose Dinge; Telegramme selbst über ganz wichtige, und sogar günstige Tatsachen hält sie ungebührlich lange zurück, so dass man, um nicht Geld hinauszuwerfen, oft lieber garnichts telegraphiert, im Bewusstsein, dass W.T.B. so ziemlich alles giebt, was die Türken zu melden für gut befinden. Aber ich verfolge die Entwicklung mit Aufmerksamkeit, und wenn einmal die drakonische Kriegszensur aufgehoben sein wird, werde ich wohl öfters Gelegenheit finden, ein offenes Wort zu sprechen. Bis dahin muss ich mich auf vertrauliche Mitteilungen beschränken, die aber jetzt, nachdem ich gesehen habe, dass es klappt, in regelmässiger Folge eintreffen werden.


Konstantinopel, den 6. September 1915

Streng vertraulich.

Kaum habe ich meinen gestrigen Bericht abgeschlossen, da erfreut mich der „Hilal“ durch einen „Notre mission en Orient“ betitelten Leitartikel, aus dem fast in jeder Zeile der Grössenwahn und Chauvinismus der modernen Türken hervorspringt. Ich beschränke mich heute darauf, den Artikel angestrichen hier beizulegen!

Zu dem, was ich gestern sagte, erfahre ich noch, dass man bereits vielfach begonnen hat, die deutschen Unternehmungen in der Türkei zu vertürken. Man fängt mit Kleinigkeiten an; mit den Firmenschildern werden auch die Nummern und Schilder an den Mützen des Personals rein türkisch, und die ganze Korrespondenz soll in türkischer Sprache geführt werden. (Es existieren diesbezüglich gesetzliche Vorschriften, die seit zirka drei Monaten datieren, die mir bisher entgangen waren; ich werde sie sammeln und einsenden). Man weiss sehr gut, dass alte deutsche Direktoren nicht mehr imstande sind, plötzlich türkisch zu lernen; man wird sie auf diese Weise hinausekeln, denn sie können dann ihre eigene Geschäftskorrespondenz nicht mehr kontrollieren; man wird einen grösseren Prozentsatz türkisches oder türkisch-jüdisches Personal engagieren müssen, etc. Der einzige Weg, gegen diese Tendenz zu arbeiten, ist, dass deutsche Geschäftsleute schon in Deutschland beginnen, gut türkisch zu lernen, was allerdings sehr schwierig ist, (Schrift) aber unentbehrlich, wenn die Türken so fortfahren. Massgebende Kreise sehen in dem Engagement der deutschen Professoren, die schon am 1. Oktober hierher kommen werden, aus denselben Gründen ein Fiasko voraus. Als ein einzelnes, aber drastisches Zeichen der chauvinistischen türkischen Auffassung von der Stellung der Europäer in der Türkei will ich als streng vertraulich nur noch mitteilen, dass, wie ich von einem höheren Beamten des hiesigen Oesterr. Generalkonsulats gehört habe, die Türken neulich die Frechheit gehabt haben, den deutschen Konsulatsbeamten Steuerzettel zuzuschicken! Natürlich flog der betreffende Ueberbringer heraus. Ueber das Kapital der Abschaffung der Kapitulationen wird ja nach dem Krieg ebenfalls noch ein ernstes Wort zu reden sein! Es zeigt sich immer mehr, dass unter den Juden wenigstens die Klasse der „Dönmes“ (d.h. zum Islam übergetretene Juden aus Salonik) den türkischen Nationalismus besonders eifrig mitmachen. Solche Artikel, wie der im „Hilal“ werden vom „Dönmes“ geschrieben. Der Minister des Innern, Talaat Bei, der selbst aus Salonik stammt, soll ja auch nichts anderes als ein Dönmé sein. Ich habe nun in sonst durchaus antisemitischen deutschen Kreisen die Auffassung vertreten gehört, Deutschland solle diese Dönméklasse nicht etwa vernachlässigen, sondern im Gegenteil etwas poussieren, denn sie gewinne immer mehr Einfluss im jungtürkischen Komité, und durch sie vermöge man in der Türkei sehr viel. Ich selbst bin anderer Meinung, nicht aus Antisemitismus, sondern aus dem Gefühl heraus, dass diese Komitéclique mit ihren Juden doch nicht das türkische Volk representiert, und dass Deutschland, wenn es nach dem Krieg sehr energisch auftritt, auch ohne sie und ihnen zum Trotz, und sogar viel besser zum Ziele kommen wird. Dass wir den höchsten Wert auf die Türkei legen müssen, nachdem wir leider doch einen so grossen Teil unserer überseeischen wirtschaftlichen Interessen verloren haben, und erst mühsam wiederzugewinnen haben, liegt auf der Hand. Aber in der Türkei ist Anatolien, mit allem, was sich östlich daran schliesst (Armenien, Persien, arabische Gebiete etc.) die Hauptsache, und der einfache Anatolier liebt Deutschland wirklich; er, der vor Allen an den Dardanellen sein Blut verspritzt, ist unser aufrichtiger Freund, und es ist eine Freude, mit diesen braven Kerlen zusammen zu sein. Und so wie er, so werden auch all die anderen Völker der asiatischen Türkei, die jetzt so grausam verfolgten Armenier, die noch immer trotz aller offiziellen Phrasen unzuverlässigen Syrier etc. die deutsche Kulturarbeit freudig begrüssen, sehr leicht für uns zu behandeln sein und uns, wenn wir nur einmal die Hauptsache der türkischen Regierung gegenüber durchgesetzt haben, einen kräftigen Rückhalt bieten in der wirtschaftlichen Arbeit in diesen zukunftsreichen Ländern. Deshalb bin ich der in Stambul sitzenden Komitéclique gegenüber (auf diese, nicht auf das wirkliche türkische Volk, beziehen sich alle meine Warnungen und mein Pessimismus!) eher für Energie als für Schmeichelei, und erst recht nicht kann ich es vertreten, dass die Juden poussiert werden sollen, die von der jungtürkischen Krippe fressen.

[Auswärtige Amt an Botschaft Konstantinopel (No. 738) 30.9.]

Die anliegenden, nicht zur Veröffentlichung bestimmten Berichte des dortigen Korrespondenten der Kölnischen Zeitung werden u.R. dem – tit- Botschafter Pera z. gfl. vertraulichen Kenntnisnahme erg. übersandt.

Zeitzeugenberichte | Dokumente aus dem Politischen Archiv des deutschen Auswärtigen Amts

Quelle: DE/PA-AA/R14087

Der Korrespondent der „Kölnischen Zeitung“ an das Auswärtige Amt

Konstantinopel, den 5. September 1915

Streng vertrauliche Informationen!

Von armenischer Seite werden mir folgende Tatsachen zu den Armenierverfolgungen mitgeteilt. Sie sind sicher im grossen und ganzen richtig. Es giebt andererseits auch sehr wenig Türken mit denen man offen über die Armenierfrage reden kann, gleich bricht selbst bei sonst gebildeten und weltgewandten Menschen eine Wut durch, die alles in einen Topf wirft und die immer mit dem Refrain endet: „Alle Armenier gehören ausgerottet, sie sind Verräter!“ Natürlich sind mir die wichtigsten Tatsachen der armenischen Darstellung auch von anderer Seite bestätigt, nur die Auffassung bleibt subjektiv.

Die armenischen Freiwilligenkorps wurden natürlich auf russischem, nicht auf türkischem Gebiet gegründet, durch Komités, die schon seit Jahrzehnten bestanden und die Lostrennung Armeniens von der Türkei offen erstrebten. Als Enver Pascha im Dezember den armenischen Kriegsschauplatz besuchte, stellte er fest, dass die Türken ebenso gegen die Armenier wie gegen die Russen zu kämpfen hatten. Trotzdem wurde erst sehr viel Wochen später die Festung Erserum von den Armeniern geräumt, ein Beweis, dass die diesseitigen (türkischen) Armenier sich lange Zeit völlig korrekt verhalten haben. Der Zustrom aus türkisch-Armenien zu den Russen begann erst im März als man in Wan unter den Armeniern (ob prophylaktisch oder nach vorgekommenen Verrat kann ich nicht feststellen) Waffen konfiszierte. Gleichfalls im März wurden dann verschiedene armenische Notabeln, darunter der Abgeordnete von Wan, Wramian und der Abgeordnete von Bitlis Papasian, verhaftet. Als die Freunde sich dem widersetzten und protestierten begannen in Wan und den Dörfern des Wilajet die Massendeportationen und Greueltaten. Darauf entstand erst eine offene Revolte und zahlreiche Armenier vereinigten sich mit russischen Banden. Im Laufe der heftigen Kämpfe, die etwa zwei Monate dauerten, erstürmten die Armenier mehreremals Wan, das, nachdem es erst neulich, wie natürlich wieder verschwiegen wird, nach kurzem Besitz, (8 Tage) den Türken verloren ging, nicht weniger als fünfmal den Besitzer gewechselt hat.

Die Verhaftungen in Konstantinopel begannen am 24/25. April als Folge der Erstürmung Wans durch die Armenier. 850 Personen sowohl Orthodoxe wie Protestanten, wie Katholiken wurden damals deportiert, darunter der höchst angesehene Abgeordnete von Konstantinopel selbst, der Advokat Sorab, der Deputierte von Erserum, Wartakes, (der mit Talaat Bei sehr gut stand), etwa 10 Bischöfe, 40 Aerzte, 10 Anwälte, daneben aber auch viele aus dem unteren Bürgerstand und Proletariat. 250 von den Verhafteten wurden nach Ajasch im Wilajet Angora, die übrigen nach Dschangere im Wilajet Kastamuni geschafft. Am 24. April abends wurden bei einer Haussuchung in den Räumlichkeiten der Zeitung „Asadamart“ d.h. „Freiheitskampf“ die zugleich Lokal des Klubs der „Taschnakzutionisten“ waren, sämtliche Politiker, Journalisten etc. verhaftet, Korrespondenz beschlagnahmt. Die Zeitung hatte trotz ihres revolutionären Namens seit fünf Jahren bestanden, war von der Regierung nicht schlecht angesehen, ja hatte sogar eine Entente mit dem jung-türkischen Komité.

Gleichzeitig mit diesen Verhafteten in der Hauptstadt wurde auch in den Wilajets Erserum, Siwas, Diarbekr, Kharput, Bitlis und Trapezunt Befehl gegeben, die Massendeportationen zu beginnen. Seitdem hat die systematische Verfolgung der Armenier überall ununterbrochen fortgedauert. Es ergiebt sich nun für die einzelnen Wilajets und Städte ein verschiedenartiges Bild, sodass wir sie am besten in vier Serien einteilen:

I. Konstantinopel: Hier war – begreiflicherweise – die türkische Regierung bisher am zurückhaltendsten. Zuerst verhaftete und deportierte man die nichtverheirateten Männer (die aus dem anatolischen Wilajet bis excl. Siwas östlich gerechnet) stammen, dann alle verheirateten und ledigen Männer, deren Heimat die Provinzen Armeniens sind, erstere samt den Familien. Bisher wurden so etwa 2000 Männer, 50 Familien deportiert. Ueber die in der kurzen Frist von oft nur ein paar Stunden, ohne Möglichkeit einer Ordnung der Geld- und Familienangelegenheiten liegende Grausamkeit brauche ich mich nicht zu verbreiten. Oft wurde wertvoller Hausrat zu spottbilligen Preisen verschleudert. Die Regierung hat die Massnahmen in Konstantinopel bisher so hinzustellen versucht, als handele es sich nur um politisch Verdächtige. Das ist einfach lächerlich. Die harmlosesten Menschen aus dem Volke wurden deportiert und zwar mit einem ganz bestimmten System. 14 Tage lang; in diesen 14 Tagen in einem Stadtbezirk. Sind z. Bsp. wie in meinem Hause, zwei Hausmeister, so wird der eine heute, der andere in einem Monat weggenommen und verschwindet, wer weiss, wohin! Auf der Strasse ruft ein Polizist die Vorübergehenden, die einen Fes tragen, einfach heran, lässt sich die Wessika (Aufenthaltsschein) zeigen und wenn es ein Armenier ist, muss er gleich mit, alles geschieht ohne vorherige Warnung, in Form einer polizeilichen Verhaftung. Tag und Nacht kann man überall in der Stadt je einen Polizisten mit zwei Gendarmen herumstreifen sehen auf der Suche nach Armeniern und heute (Sonntag) hat die Polizei selbst an den Kirchentüren der katholisch-armenischen Kirche in Pera Aufstellung genommen, und verlangt die Pässe ab. Das mag nun zwar gerade den Eindruck machen, als fahnde man auf Verdächtige, aber ich kann nach authentischen Informationen versichern, dass man durchaus wahllos vorgeht und nur darum die Zahl der Deportationen beschränkt, weil man sich angesichts der Botschafter noch nicht so ganz zu Massregeln in demselben grossen Stil wie in den Provinzen getraut. Man will erst dort reinen Tisch machen, dann kommt die Hauptstadt an die Reihe; das ist in den durchaus türken-freundlichen Kreisen der allgemeine Eindruck.

II. Vollständig von Armeniern geräumt und der Schauplatz gewesen von regelrechten Massacres, Greueltaten aller Art, Schändungen, gewaltsamen Bekehrungen etc., sind:

Die Wilajets Erserum und Trapezunt (hier ein Teil zum Islam bekehrt) sowie die Städte Siwas, Kharput, Kaisarije, Yozgad, Amasia, Mersifan, Marasch. Die Deportierten werden nach Urfa, Biredschik, Sor, usw. geschickt, also in weitentlegene, zumteil arabische Gegenden, wo sie herausgerissen aus ihrer Umgebung, sicher halb zugrunde gehen müssen. In gewissen Städten werden die Männer in Haft behalten, die Frauen und Kinder ohne Aufsicht und ohne jede Fürsorge und in Elend allein verschickt. Der Unterschied, dass in einigen Wilajets nur eine oder mehrere Städte, anderswo wieder das ganze Wilajet so behandelt worden ist, erklären sich aus dem verschiedenen Charakter der Generalgouverneure (Walis) die völlig freie Hand haben. Ein Beispiel in dieser Beziehung ist Angora, das durch die Massacres vom letzten Sonntag besonders traurig aktuell geworden ist. Dort hatte sich, wie mir Armenier erzählten, trotz wiederholter Aufforderung der Centralregierung, der Wali Masar Bei geweigert, die rigorosen Massregeln wahllos und summarisch auf die ganze armenische Bevölkerung auszudehnen und wurde dann abgesetzt. Jetzt sind grade in Angora, das als grosse, an der Eisenbahn liegende Stadt in täglicher Verbindung mit Konstantinopel, als Hauptort des Wilajets und Sitz hoher Gerichtsinstanzen den Armeniern noch relativ günstige Daseinsbedingungen bot, und das weit genug vom östlichen Kriegsschauplatz entfernt liegt, um den Gedanken an eine Verdächtigkeit grosser Teile der männlichen Bevölkerung ganz ausscheiden zu lassen, wirklich scheussliche Dinge vorgekommen. In Angora sind die Hauptmasse der Armenier Katholiken. Diese sind naturgemäss, weil bei ihnen der Verdacht einer nach Russland schielenden irredentistischen Gesinnung ferner liegt als bei den orthodoxen, von der türkischen Regierung etwas weniger schlecht angesehen als letztere. Die angeblich von Talaat Bei versprochenen Milderungen sollen sich auch in der Hauptsache auf den katholischen Teil der Armenier beziehen. Anfangs hatte man daher auch in Angora nur orthodoxe Männer deportiert, dagegen unter den katholischen nur einige, wenige Verhaftungen vorgenommen. Am Sonntag vor acht Tagen aber liess der neue Wali, Atif Bei, eine Kreatur des Polizeidirektors Dschambolat von Konstantinopel, eines fanatischen Armenierhassers und Nationalisten, nach Verhaftung der katholischen Armenier ein grosses Massacre unter den Frauen anrichten oder geschehen, dass dabei alle Scheusslichkeiten, auch Missbrauch und Raub junger Mädchen vorgekommen sind. Es wurde mir auch überall, wo ich darüber nachfragte, bestätigt. In ihrer Verzweiflung eilten die Frauen zu dem 20 Minuten entfernten Bahnhof aber nur, um unterwegs den Türken in die Hände zu fallen. Die grösstenteils armenischen Bahnangestellten hatten sich auf einen Zug nach Erkischai geflüchtet, der Bahnverkehr nach Angora wurde unterbrochen. Hier gehen Gerüchte von 6000 armenischen Opfern. Für die Stadt Angora dürfte dies vielfach übertrieben sein; für das Wilajet nicht.

III. Eine einfache Räumung von Armeniern ohne besondere Grausamkeiten fand statt in den Wilajets Adana, Konia und Brussa, in Sandschak, Ismid und in der Stadt Adabasar. Diese Deportationen datieren seit ein bis zwei Monaten. Aus diesen Gegenden hörte ich ganz besonders drastische Beispiele von Verschleuderung von wertvollem Hausrat, Hab und Gut. Singernähmaschinen sollen für ein paar Medschidieh (à 20 Piaster) zu haben gewesen sein. Armenischerseits wird nur zugegeben, dass man in Adabasar etwa 300 bis 400 Mauser unter den Armeniern fand; man bestreitet aber jede mit dem jetzigen Krieg zusammenhängende revolutionäre Bewegung, Adabasar liegt ja auch noch weiter vom Kriegsschauplatz entfernt als Angora. Man stellt das Vorhandensein der Waffen so dar, als ein stets notwendiger Schutz einer bedrückenden, zu Uebergriffen geneigten nichtarmenischen Bevölkerung. In Angora sollen keinerlei Waffen vorhanden gewesen sein.

IV. Einen besonderen Typus stellt Seitun (Wilajet in Adana) dar, wo schon sechs Monate vor dem Weltkrieg eine systematische Räumung von der (hier besonders kraftvollen, unter Abdül Hamid eigentlich nie ganz unterworfenen) Armenierbevölkerung ins Werk geleitet worden ist durch Auseinanderreissen ganzer Familien und Zerstreuung nach allen Richtungen. Während des Krieges wurde die Räumung völlig durchgeführt. Ein wichtiger Zusammenhang darf hier nicht unerwähnt bleiben. Bekanntlich hat der in Paris lebende Scherif Pascha, ein Todfeind der Jungtürken, nebenbeibemerkt ein trauriges Individuum stets, schon seit Jahren, versucht, Attentate gegen die Jungtürken ins Werk zu setzen. Er brachte es fertig, sich bei seinen Plänen auch mancher Anhänger der ebenfalls in Paris lebenden Sabachkulian, der sogenannten “Hintschakisten“ die ein den Taschnakzutunisten analoges revolutionäres, armenisches Komité sind, zu bedienen. Besonders galt es Talaat Bei. Fast 20 Armenier, fast alle Hintschakisten, wurden seinerzeit im Mai auf dem Bajaridplatz gehenkt, obgleich das Komplott nur erst auf dem Papier stand und nach türkischem Recht der Versuch nicht wie bei uns unter Umständen ebenso strafbar ist wie die vollbrachte Tat. Die Strenge der Strafe erklärt sich eben durch die gerade auf dem armenischen Kriegsschauplatz vorgekommenen Dinge. Mit diesem äusserst losen, ja nur scheinbaren Zusammenhang erschöpft sich aber auch der Zusammenhang zwischen den Plänen Scherif Pascha, die als eine rein türkische Intrige zu bezeichnen sind und der armenischen Bewegung. Die türkische Regierung hat aber die nach Ausspruch aller gesetzlich denkenden Armenier „gebührende Bestrafung“ der Hintschakisten als einen willkommenen Anlass benützt, durch Veröffentlichung eines Communiques – des einzigen, das je in der Armenierfrage veröffentlicht worden ist. Meine eigene, wie die Depesche der anderen Korrespondenten wurde wohlweislich bis nach Erscheinen des amtlichen Communiques zurückgehalten, und unter Benützung der Tatsache, dass der Klub der Hintschakisten ein autonomes Armenien erstrebt, die Sache in bewusster Vermischung der Tatsachen beider Dinge so dargestellt, dass sie dadurch gegen die Armenier überhaupt aufreizen konnte und eine Rechtfertigung der grausamen Massregeln gegen die armenische Bevölkerung fand. In Wahrheit hatten die gehenkten Armenier, die Opfer und Werkzeuge einer innertürkischen Intrigue mit den Vorgängen in Armenien garnichts zu tun, obwohl sie zufällig Hintschakisten waren. So arbeitet die türkische Regierung. Soweit die Tatsachen.

Viel wichtiger aber als das Wohl und Wehe der Armenier die ja durchaus kein sehr sympatischer Menschenschlag sind, ist der grosse politische Zusammenhang und Hintergrund der Armenierfrage und sind die Zukunftsaussichten, die sich an sie knüpfen. Denn wenn in der Türkei alles so stände, wie wir es uns vom deutschen Standpunkt aus wünschen müssen, könnte man bei dem allgemeinen grossen Weh und Elend des Weltkrieges schliesslich auch noch über die Leiden der Armenier hinwegsehen. Leider ist es aber ganz anders. Wir haben zwar in den Armenierverfolgungen einen ziemlich plötzlich und offenbar aus Wut über die militärischen Verluste durch die zusammen mit den Russen kämpfenden armenischen Legionen unternommenen, aber längst über das Mass von Repressalien gegen Landesverrat und erst recht über das Mass von Vorsichtsmassregeln gegen solchen hinausgewachsenen sehr systematischen Versuch der völligen Zersplitterung und allmählichen Ausrottung des ganzen armenischen Volksbestandteiles vor uns. Die Armenier selbst sagen: “Abdül Hamid hat Massacres unter uns angerichtet aber doch konnten wir uns mit seiner Regierung wieder von Zeit zu Zeit vertragen; jetzt begeht man viel schlimmeres als Massakres. Man mordet und verdirbt langsam die ganze armenische Nation durch Zerreissung der Familie und getrennte Verpflanzung in einen ganz fremden Boden, entblösst von allem Hab und Gut. Wir könnten es noch verstehen, wenn man für jeden Landesverrat und Spionage einige hundert Männer hängt, als abschreckendes Beispiel, wir könnten begreifen, wenn man aus Wut über die Vorgänge auf dem armenischen Kriegsschauplatz dort tausende massakriert hätte wie zu Hamids Zeiten. Aber, was man den harmlosen Familien des fern vom Krieg gelegenen Anatoliens antut, das begreifen wir nicht. Jedes Massakre aus Wut wäre zu verstehen, diese raffiniert langsame, wohlüberlegte Deportierungspolitik aber nicht.“ Und sie haben ganz recht! Auch in massgebenden deutschen, türkenfreundlichen Kreisen hat man den Eindruck, dass es auf die Armenier als Ganzes abgesehen ist. Und manche sagen, nach den Armeniern kommen die Juden und Griechen dran. Und mancher denkt wohl im Stillen: und ganz zuletzt ekelt man auch die Deutschen aus der Türkei hinaus! Leider kann auch ich, der ich mit genug Optimismus den Türken gegenüber meine hiesige Aufgabe begonnen, schon nach ganz kurzer Zeit mich selbst dieses Gefühls nicht mehr entwehren! Meine Zuversicht, der ich in den Berichten vor Gallipoli Ausdruck verliehen habe, liegt auf militärischem Gebiet und bezieht sich auf die jetzige Lage: Deutschland als Verbündeter der Türkei. Die Türken werden durchhalten, mag es auch noch so lange dauern, das ist sicher. Manche Konzessionen musste ich in meinen Artikeln ja auch der türkischen Zensur machen, bezw. da ich die Artikel der Zensur niemals vorlege – der türkischen Regierung.

Man wird davon zu abstrahieren wissen. Wenn ich gesagt habe: z.Bsp. Enver Pacha steht gut mit der deutschen Militärmission, so ist das richtig, denn Enver braucht die Deutschen; ohne sie wären die Dardanellen längst forciert. Es sollte auch ein Dementi der während des Krieges höchst ungelegenen Ausstreuungen von feindlicher Seite sein, dass Differenzen beständen. Dass mein Artikel (I) aus Gallipoli Enver gefallen hat, glaube ich nicht. Auf die Armenierfrage, um darauf zurückzukommen, lege ich deshalb so grossen Wert, weil sie mir ein deutliches, vielleicht zurzeit ein drastisches Symptom für den herrschenden türkischen Geist ist. Die deutsche Botschaft hat oft genug und in freundschaftlicher aber bestimmter Form, der türkischen Regierung Vorhaltungen wegen der Armenierverfolgungen gemacht. Das Ungeheuerliche ist, dass es trotz des Verhältnisses deutsch-türkischer Waffenbrüderschaft und engen Bündnisses und trotzdem uns die Türken in diesem Krieg so notwendig haben, wie die Luft zum Atmen, die Regierung nicht für nötig findet, das deutsche Verlangen – das nur ihr Wohl will, denn längst sind alle armenischen Spione auf russisches Gebiet übergegangen oder gehenkt, und die weitere Zerstörung des fortschrittlichen armenischen Volkselements bedeutet nur schwere wirtschaftliche Schädigung, die die Türkei jetzt, wo der Krieg Anatolien geleert hat, besonders vermeiden müsste – wenigstens im grossen und ganzen zu erfüllen. Nein, es geht weiter im alten Stil; die Versprechungen sind vage und niemand glaubt ihnen und trotz aller Versprechungen geschahen noch ganz neuerdings Dinge, die ein Schlag ins Gesicht der Deutschen sind. Die Armenier sind natürlich, wie mir gegenüber oft genug gesagt worden ist, ohne Ausnahmen fest überzeugt, dass bei der Stellung, die Deutschland heute in der Türkei hat, ein energischer Schritt genügen würde, um Wandel zu schaffen. Sie können nicht begreifen, dass keine Aenderung eintritt, sie stecken sich hinter den amerikanischen Botschafter, der seinerseits den Türken ebenfalls ganz vernünftige Massregeln zur Linderung der Not der Armenier vorgeschlagen und mehreremals energische Schritte gegen die Verfolgungen getan hat. Der amerikanische Botschafter weiss darum auch, nachdem die Türken seine Einmischung abgelehnt haben, durch sein Land die ganze neutrale Welt zu beeinflussen, so dass schliesslich alles an eine deutsch-türkische Entente in der Armenierfrage glaubt und die Folge ein Feldzug gegen die deutsche Barbarei sein wird. Dabei versäumt die Botschaft nichts, um in dieser Frage Besserung zu schaffen! Aber diese Missachtung wohlgemeinter deutscher Ratschläge ist in doppelter Hinsicht höchst bemerkenswert: einmal ist sie ein Beweis, dass die Türken eben entschlossen sind, allmählich einen rein türkischen Nationalstaat zu schaffen, (wobei sie sich ihr Grab graben werden!) und dann ist dies alles nur eines der vielen Symptome erwachenden türkischen Hochmuts.

In ersterer Beziehung berufe ich mich auf das Urteil von Orientkennern massgebendster Kreise, die durchaus gut zur jungtürkischen Regierung stehend, sich vergeblich bemühen, zu einer weniger pessimistischen Auffassung über die Zukunft der Türkei gleich nach dem Krieg zu gelangen. Es ist ganz begreiflich, dass sich die Türken an den Armeniern zuerst vergreifen; sie haben nicht nur, geben wir es zu, manchen Anlass geboten, sondern sie sind auch die Schwächsten unter den Nichttürken, diejenigen, die sich am wenigsten wehren können. Die andern sind die Juden, Griechen und Europäer. Einstweilen findet es die türkische Regierung nämlich für gut, die den Armeniern verloren gehenden Stellungen, die sie nicht mit Türken besetzen können, den Juden zu geben. So wurden z.B. sämtliche armenische Angestellte der Orientalischen Eisenbahn durch Juden ersetzt. Griechen, die durch die Armenierverfolgungen ebenfalls sehr profitieren, waren natürlich auf dieser Strecke, auf der der ganze Etappendienst nach den Dardanellen geht, als politisch unzuverlässig nicht zu gebrauchen. Die Verwaltung der Anatolischen Eisenbahn dagegen hat sich bisher mit Erfolg gegen eine Entlassung ihrer armenischen Angestellten gewehrt. Bei militärisch so wichtigen Strecken wie die Orientalische E. B. erklärt sich schliesslich die Entlassung der Armenier; unglaublich aber ist, wie seitdem Salonik griechisch geworden, es wirtschaftlich gesunken ist, die von dort herbeiströmenden Juden sich überall in der Verwaltung und selbst in der Politik einzunisten verstanden haben. In dem Maasse, wie die Armenier verschwinden, nehmen die Juden ihre Plätze ein. Im Redaktionspersonal des „Hilal“ (H. heisst „Halbmond“ und die Zeitung, fast eine französische Ausgabe des Tanin, ist genau so gut Regierungsorgan wie dieser!) sitzen schon sehr viele Juden! Die Türken lassen es zu, dass die Juden sich breitmachen, da sie dies schutzlose Volk jederzeit unterdrücken und loswerden können, wann sie es nur wünschen. Einstweilen brauchen sie die Juden als Ersatz für die Armenier infolge ihres eigenen Mangels an Intelligenz und Geschäftssinn. Die Juden sind natürlich auch politisch zuverlässiger, richtiger gesagt farblos, denn am 18. März setzten sie alle den Hut auf und fingen an, französisch zu reden, jetzt tragen sie wieder den Fes und sprechen zunehmend deutsch! Die Griechen hofft man später einmal dranzukriegen, durch eine echttürkische Politik, wenn die Türkei durch unseren Sieg so stark geworden ist, dass das kleine Griechenland nichts mehr gegen die Chikanierung der griechischen Bevölkerung in der Türkei machen kann. Einstweilen sind die Armenier das Opfer. Die Türken sind aber zugleich feig in ihrer Unterdrückungspolitik. Das beweist am besten ihr Verhalten den Kurden gegenüber. Unter Abdül Hamid wurden die Kurden recht gut behandelt, nahmen hohe Stellungen ein und wurden von Zeit zu Zeit auf die Armenier losgelassen. Von den Jungtürken dagegen wurde der kurdische Einfluss ausgeschaltet, die Komitéregierung schaffte sich unter den Kurden manchen Todfeind, (so die bekannte Familie Abdurressak, die sich den Russen zuwandte,) zugleich fing der russische Rubel mit Erfolg unter den Kurden an zu arbeiten und die nur scheinbar niedergeschlagene Kurdenrevolte vom vorigen Jahre, (ich glaube Frühjahr 1914, wo der Kurdenführer Taha sich unter russischen Schutz stellte, war ein Beweis!) und ein Teil der Kurden einigte sich sogar mit den Armeniern, die sie früher zu massakrieren pflegten. Russland sucht natürlich ganz Kurdistan gegen die Türkei aufzuwiegeln, und ein sehr grosser Teil der Kurden auf dem armenischen Kriegsschauplatz hat ganz dasselbe getan wie die Armenier, ist mit den Russen zusammengegangen. Von irgendwelchen Repressalien in Kurdistan ist aber nicht die Rede gewesen. Die türkische Regierung hat eben Angst vor den Kurden.

Der innerste Grund der Unterdrückung des armenischen Volks ist neuerlich unter dem Eindruck Enver Paschas, der Wiedergewinnung Adrianopols, der Siege an den Dardanellen u.s.w. aufflackernder Nationalismus und mohamedanischer Fanatismus. Die Ententefreunde hier behaupten natürlich nebenbei auch, da die Türken das Bewusstsein hätten, dass die Dardanellen doch noch forciert würden und die Türkei den Krieg verliere, so wolle man, um einen möglichst grossen Teil von Kleinasien bei den Friedensverhandlungen für sich zu retten, die Grossmächte, namentlich Russland, vor eine vollendete Tatsache stellen und sagen können, all jene Provinzen seien rein türkisch, es gebe keine Armenier dort. Deshalb räume man sie jetzt von allen nichttürkischen Bestandteilen. Eine Kritik dieser Auffassung erübrigt sich zwar, sie beweist aber jedenfalls, dass die kurzsichtige türkische Verwüstungspolitik auf Hohn stösst. Etwas anderes dagegen ist als ein tatsächlicher Faktor bei der türkischen Berechnung anzuerkennen. Die Armenier, dieses höchst intelligente, betriebsame und anpassungsfähige Volkselement, war bisher – d.h. vor der vorübergehenden starken Verjudung! – entschieden die Gruppe, die am meisten Fühlung mit den regierenden Kreisen hatte. Selbst Minister zählten die Armenier zu den Ihren. Die Griechen, die sich zwar in diesem Krieg trotz der ausnahmslosen Feindschaft gegen die Türkei, auf grosshellenischem Irredentismus beruhend, auch der allgemeinen Spionenwitterung gegenüber fast stets geschickt aus der Affäre zu ziehen wussten, (nur die Ufer des Bosporus wurden aus rein militärischen Gründen von den Griechen geräumt, aber ohne Grausamkeiten,) waren doch von den Türken stets als ein durchaus fremdes Element angesehen worden. Nicht so die Armenier, die als ein wirklicher Bestandteil des osmanischen Reiches galten und nicht in dem Bestehen eines freien, unabhängigen armenischen Volks über der Grenze drüben einen Grund zu irredentistischen Bestrebungen hatten. (Der Armenier sieht auch in Russland durchaus nicht ein Ideal, er weiss, dass die geographische Lage seines Landes ihm jede Aussicht auf Selbständigkeit raubt, und wenn er heute mit seinem Blut an der Eroberung türkischer Stellungen durch die Russen hilft, so ist dies nur ein Beweis für die furchtbar schlechte türkische Regierung, die ihn bedrückte, trotz aller Reformprojekte!) Deshalb ist, vom alttürkischen Standpunkt betrachtet, der Armenier ein gefährlicherer, weil mit den Verhältnissen enger verwachsener Gegner und Konkurrent, der zuerst beseitigt werden muss. Ihn auszurotten, muss schon während des Kriegs begonnen werden; er muss mühsam nach allen fernen Landesteilen deportiert werden, während die zahlreiche griechische Bevölkerung im geeigneten Zeitpunkt, d.h. wenn Griechenland der erstarkten Türkei überhaupt nichts mehr antun kann, aufgrund einer einzigen Willkürmassregel, die ihr im Handel den Lebensnerv unterbindet, von selber nach Griechenland abwandern wird. Die Regierung will nicht abwarten, bis steigender deutscher Einfluss nach dem Krieg die Vertreibung der Armenier erschwert, deshalb tut sie jetzt schon ihr möglichstes; sie kann aber in Kriegszeiten den Armeniern nicht einfach einen Ausweisbefehl geben, denn erstens mangeln die Reiseverbindungen nach dem Ausland, und zweitens will sie nicht, dass so zahlreiche Menschen die Türkei verlassen, die alles wissen, was im Innern vorgeht, und auf diese Weise Kunde davon nach dem feindlichen Ausland tragen. Deshalb zieht man das mühselige (für die Betroffenen wie für die Regierung!) und grausame System der Deportationen vor. Eine Zeitlang hatte man Frauen und Kindern das Verlassen des türkischen Staatsgebiets gestattet; dann (Anfang August) zog man auch diese Erlaubnis zurück.

Ich will nun meine Ausführungen nicht so verstanden wissen als ob eine Spannung zwischen Deutschen (überhaupt Europäern) und Türken unmittelbar bevorstände oder gar schon begonnen habe. Im grossen ganzen beherrschen wir Gott sei Dank noch die Situation, und solange der Krieg dauert, wird alles gut gehen. Pessimisten sehen zwar auch schon in einem so harmlosen Wort Enver Paschas wie dem Passus in seinem Telegramm an den Kronprinzen, dass „er hofft, die Feinde bald ins Meer werfen zu können,“ eine Andeutung, dass es Enver lieber ist, mit dem Feind allein fertig zu werden und er jetzt schon der Entsendung deutscher Truppen hierher nach Oeffnung des Wegs durch Serbien vorzubauen wünscht. Dass die Türken Munition und Geschütze und verkaufte Kriegsschiffe lieber haben als eigentliche Truppensendungen, ist sicher, aber einem so weitgehenden, übertriebenen Misstrauen deutscherseits kann ich mich doch nicht anschliessen. Tatsache scheint mir aber, dass die Türken uns Deutsche ziemlich satt haben, nur militärisch noch nicht, weil sie uns noch brauchen. Der Türke, echter Orientale, wird sich sehr bald nach dem Krieg wieder durch das französische Wesen beeinflussen lassen; eine andere Frage ist freilich, ob der französische Einfluss materiell irgendwie nennenswert sein wird. Die Periode wirklicher Spannung mit uns Deutschen liegt wohl noch in ziemlicher Ferne, ihr Zeitpunkt hängt auch davon ab, was wir in Anatolien u.s.w. wollen werden. Der ganze Zweck meiner heutigen vertraulichen Mitteilungen ist, vor einem Optimismus sowohl in der Frage der Aufschwung der Türkei wie der deutsch-türkischen Beziehungen zu warnen. Eine solche Warnung jetzt schon auszusprechen, halte ich für notwendig, weil der wohl noch lange Zeit bestehende Zustand der Zensur es mir und Anderen verbieten wird, in der Zeitung das zu veröffentlichen, was der vollen Wahrheit entspricht; so könnte leicht ein falsches Bild entstehen. Ich will nun zum Schluss meiner langen Epistel nur noch einiges Wenige anführen, was ich als Symptome für diesen erwachenden türkischen Geist betrachte: Dieser Geist ist, das fand ich bemerkenswert, auch dem ausserordentlichen Botschafter Fürst Hohenlohe gleich aufgefallen. Als derselbe mich kurze Zeit nach seinem Eintreffen empfing, gerade kurz genug, um erst die wichtigsten Eindrücke aufgenommen zu haben, aber zugleich lange genug, um sich schon ein klares Bild machen zu können, erwiderte er mir auf eine Frage, der jeder Andeutung meines eigenen Eindrucks fehlte, sofort: „Es wird sehr interessant sein, zu sehen, wie Deutschland sich mit dem erwachenden türkischen Nationalismus abfinden wird!“ (Ich bitte, diesen Ausspruch ganz besonders vertraulich zu behandeln!) Dieser Eindruck schien beim Botschafter alle anderen zu überwiegen.

Dass die Türken die Kapitulationen so plötzlich abgeschafft haben, war bereits ein deutliches Symptom des Geistes, der weht. Eben durch diese Abschaffung, die der schwierigste erste Schritt auf diesem Wege war, sind sie in der Lage, das ganze Verhältnis zu den Europäern sehr schnell nach Belieben zu ändern. Wir Deutsche haben auch absolut keinen Grund, uns über die von Talaat Bei im Juni verfügte völlige Unterdrückung aller Firmenschilder in französischer Sprache zu freuen. Unter dem Vorwand, dass französisch eine feindliche Sprache sei, tat man dem ersten Schritt, indem man die tatsächliche europäische Verkehrssprache des Orients gewaltsam abschaffte, zugleich aber türkische Firmenschilder obligatorisch machte. Man muss aber nicht etwa glauben, dass damit die Zahl der deutschen Firmenschilder irgendwie zunahm. Die meisten deutschen Firmen, wohl wissend, was beabsichtigt war, beschränkten sich auf türkische Schilder und es ist sehr schwer, sich heute in Pera zurechtzufinden. Griechisch, armenisch, hebräisch behielt man, weil von sekundärer Wichtigkeit, noch einstweilen bei. Der Stoss sollte eben das Europäertum treffen, und in der französischen Sprache traf er es auch, und uns Deutsche ebenfalls mit! Und nun will ich nur noch auf einen Artikel des Hilal (vom 31.August) hinweisen, der nach meiner Ansicht eine Unverschämtheit und Anmassung ist. Dieses Organ des jungtürkischen Komités schreibt in einem Leitartikel „Devant l`ère nouvelle:“— C’est la renaissance militaire et politique aussi bien que morale et intellectuelle de notre pays — Le pays a prouvé qu`il peut, le cas échéant, se passer economiquement du concours étranger, se suffira à lui-même pour ses besoins stricts qu`il conserve intact son génie d’organisation, qu’il est richement doué de forces productrices. Nos hôpitaux ne le cèdent en rien aux meilleurs etablissements similaires de l`Europe“— etc. Und in demselben Artikel versetzt der Hilal noch den deutschen Professoren, die das türkische Unterrichtsministerium engagiert hat, um hier zu wirken, einen Hieb, indem es sagt, das wichtigste bleibe bei allem doch die Sprachenfrage und da sei zu bedauern, dass man den engagierten Lehrkräften eine unbestimmte Zeit gelassen habe, türkisch zu erlernen, anstatt sie kontraktlich zu verpflichten, binnen einer festgesetzten Frist es zu beherrschen!

Das mögen unbedeutende Einzelheiten scheinen. Aber sie weisen den Weg, den die Dinge gehen werden. Und um es zu wiederholen, ich wollte nur andeuten, dass ich ferne bin, in rosigen Optimismus zu verfallen. Die Zensur verbietet leider selbst Mitteilungen über wirklich oft ganz harmlose Dinge; Telegramme selbst über ganz wichtige, und sogar günstige Tatsachen hält sie ungebührlich lange zurück, so dass man, um nicht Geld hinauszuwerfen, oft lieber garnichts telegraphiert, im Bewusstsein, dass W.T.B. so ziemlich alles giebt, was die Türken zu melden für gut befinden. Aber ich verfolge die Entwicklung mit Aufmerksamkeit, und wenn einmal die drakonische Kriegszensur aufgehoben sein wird, werde ich wohl öfters Gelegenheit finden, ein offenes Wort zu sprechen. Bis dahin muss ich mich auf vertrauliche Mitteilungen beschränken, die aber jetzt, nachdem ich gesehen habe, dass es klappt, in regelmässiger Folge eintreffen werden.


Konstantinopel, den 6. September 1915

Streng vertraulich.

Kaum habe ich meinen gestrigen Bericht abgeschlossen, da erfreut mich der „Hilal“ durch einen „Notre mission en Orient“ betitelten Leitartikel, aus dem fast in jeder Zeile der Grössenwahn und Chauvinismus der modernen Türken hervorspringt. Ich beschränke mich heute darauf, den Artikel angestrichen hier beizulegen!

Zu dem, was ich gestern sagte, erfahre ich noch, dass man bereits vielfach begonnen hat, die deutschen Unternehmungen in der Türkei zu vertürken. Man fängt mit Kleinigkeiten an; mit den Firmenschildern werden auch die Nummern und Schilder an den Mützen des Personals rein türkisch, und die ganze Korrespondenz soll in türkischer Sprache geführt werden. (Es existieren diesbezüglich gesetzliche Vorschriften, die seit zirka drei Monaten datieren, die mir bisher entgangen waren; ich werde sie sammeln und einsenden). Man weiss sehr gut, dass alte deutsche Direktoren nicht mehr imstande sind, plötzlich türkisch zu lernen; man wird sie auf diese Weise hinausekeln, denn sie können dann ihre eigene Geschäftskorrespondenz nicht mehr kontrollieren; man wird einen grösseren Prozentsatz türkisches oder türkisch-jüdisches Personal engagieren müssen, etc. Der einzige Weg, gegen diese Tendenz zu arbeiten, ist, dass deutsche Geschäftsleute schon in Deutschland beginnen, gut türkisch zu lernen, was allerdings sehr schwierig ist, (Schrift) aber unentbehrlich, wenn die Türken so fortfahren. Massgebende Kreise sehen in dem Engagement der deutschen Professoren, die schon am 1. Oktober hierher kommen werden, aus denselben Gründen ein Fiasko voraus. Als ein einzelnes, aber drastisches Zeichen der chauvinistischen türkischen Auffassung von der Stellung der Europäer in der Türkei will ich als streng vertraulich nur noch mitteilen, dass, wie ich von einem höheren Beamten des hiesigen Oesterr. Generalkonsulats gehört habe, die Türken neulich die Frechheit gehabt haben, den deutschen Konsulatsbeamten Steuerzettel zuzuschicken! Natürlich flog der betreffende Ueberbringer heraus. Ueber das Kapital der Abschaffung der Kapitulationen wird ja nach dem Krieg ebenfalls noch ein ernstes Wort zu reden sein! Es zeigt sich immer mehr, dass unter den Juden wenigstens die Klasse der „Dönmes“ (d.h. zum Islam übergetretene Juden aus Salonik) den türkischen Nationalismus besonders eifrig mitmachen. Solche Artikel, wie der im „Hilal“ werden vom „Dönmes“ geschrieben. Der Minister des Innern, Talaat Bei, der selbst aus Salonik stammt, soll ja auch nichts anderes als ein Dönmé sein. Ich habe nun in sonst durchaus antisemitischen deutschen Kreisen die Auffassung vertreten gehört, Deutschland solle diese Dönméklasse nicht etwa vernachlässigen, sondern im Gegenteil etwas poussieren, denn sie gewinne immer mehr Einfluss im jungtürkischen Komité, und durch sie vermöge man in der Türkei sehr viel. Ich selbst bin anderer Meinung, nicht aus Antisemitismus, sondern aus dem Gefühl heraus, dass diese Komitéclique mit ihren Juden doch nicht das türkische Volk representiert, und dass Deutschland, wenn es nach dem Krieg sehr energisch auftritt, auch ohne sie und ihnen zum Trotz, und sogar viel besser zum Ziele kommen wird. Dass wir den höchsten Wert auf die Türkei legen müssen, nachdem wir leider doch einen so grossen Teil unserer überseeischen wirtschaftlichen Interessen verloren haben, und erst mühsam wiederzugewinnen haben, liegt auf der Hand. Aber in der Türkei ist Anatolien, mit allem, was sich östlich daran schliesst (Armenien, Persien, arabische Gebiete etc.) die Hauptsache, und der einfache Anatolier liebt Deutschland wirklich; er, der vor Allen an den Dardanellen sein Blut verspritzt, ist unser aufrichtiger Freund, und es ist eine Freude, mit diesen braven Kerlen zusammen zu sein. Und so wie er, so werden auch all die anderen Völker der asiatischen Türkei, die jetzt so grausam verfolgten Armenier, die noch immer trotz aller offiziellen Phrasen unzuverlässigen Syrier etc. die deutsche Kulturarbeit freudig begrüssen, sehr leicht für uns zu behandeln sein und uns, wenn wir nur einmal die Hauptsache der türkischen Regierung gegenüber durchgesetzt haben, einen kräftigen Rückhalt bieten in der wirtschaftlichen Arbeit in diesen zukunftsreichen Ländern. Deshalb bin ich der in Stambul sitzenden Komitéclique gegenüber (auf diese, nicht auf das wirkliche türkische Volk, beziehen sich alle meine Warnungen und mein Pessimismus!) eher für Energie als für Schmeichelei, und erst recht nicht kann ich es vertreten, dass die Juden poussiert werden sollen, die von der jungtürkischen Krippe fressen.

[Auswärtige Amt an Botschaft Konstantinopel (No. 738) 30.9.]

Die anliegenden, nicht zur Veröffentlichung bestimmten Berichte des dortigen Korrespondenten der Kölnischen Zeitung werden u.R. dem – tit- Botschafter Pera z. gfl. vertraulichen Kenntnisnahme erg. übersandt.