Schenkungsurkunde an die Oberbürgermeisterin der Stadt Köln, Frau Henriette Reker

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Reker,
liebe Kölnerinnen und Kölner

Am Sonntag, den 15. April 2018 haben wir, die Kölner Initiative »Völkermord Erinnern«, auf der linksrheinischen Seite der Hohenzollernbrücke, gegenüber dem Reiterstandbild Kaiser Wilhelm II., ein Mahnmal errichtet.

Dieses trägt den Titel »Dieser Schmerz betrifft uns alle« und erinnert an die Ermordung der armenischen Bevölkerung während der Zeit des Ersten Weltkrieges und die damit verbundene gemeinsame Verantwortung des Osmanischen und des Deutschen Reiches für dieses Verbrechen.

Auf der dreiseitigen stählernen Pyramide von 1,50 Metern Höhe, auf deren gekappter Spitze ein seitlich geschlitzter Granatapfel aus Bronze ruht – ein Symbol für den Genozid an den Armeniern – ist in armenischer, deutscher, türkischer und englischer Sprache, folgende Inschrift zu lesen:

Dieser Schmerz betrifft uns alle

Während des 1. Weltkrieges – zwischen 1915 und 1918 – wurden in der
heutigen Türkei über eine Million armenische Frauen, Männer und Kinder
aus ihren Häusern vertrieben, deportiert und ermordet.

Das Osmanische Reich und die beteiligten deutschen Offiziere unter Führung
Kaiser Wilhelm II. tragen die Verantwortung für diesen Völkermord
an der armenischen Bevölkerung.

Nur eine entschiedene Ächtung der Entwürdigung von Minderheiten und die
Einsicht, dass es weder religiöse, nationale noch ethnische Überlegenheit
zwischen den Menschen gibt, kann solche Verbrechen verhindern.

Zum Standort des Mahnmals

Das Mahnmal steht in unmittelbarer Nähe zum Reiterstandbild Kaiser Wilhelm II. Dieser trägt als Staatsoberhaupt des deutschen Kaiserreichs erhebliche Mitverantwortung am Genozid an der armenischen Bevölkerung. Ihm, seinen Diplomaten und Offizieren, war von Beginn an klar, dass die osmanischen Verbündeten die Armenier vernichten werden.

Zum Geschehenen und der deutschen Beteiligung

Über eine Million armenische Kinder, Frauen und Männer aus dem Gebiet der heutigen Türkei wurden systematisch ermordet. Planvoll und mit brutaler Gewalt wurden sie aus ihren Häusern vertrieben, erschossen, erschlagen, Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt und alle, die nicht durch Arbeit umkamen, wurden auf Todesmärsche in die mesopotamische Wüste gezwungen und verhungerten und verdursteten auf den Gebieten des heutigen Syrien und des Irak. Der verantwortliche türkische Innenminister Talaat Pascha formulierte »Das Ziel der Deportation ist das Nichts«.

Deutsche Militärs besetzten Schlüsselpositionen im militärischen Staatsapparat des osmanischen Reiches. 1913 waren fast 800 deutsche Offiziere in Istanbul zur militärischen Aufrüstung des Bündnispartners stationiert.

Colmar Freiherr von der Goltz, von dem die Deportationspläne für die Armenier stammen, war seit 1883 als Militärberater im Osmanischen Reich im Rang eines türkischen Feldmarschalls tätig. Der deutsche Botschafter Hans Freiherr von Wangenheim war einer der massivsten Befürworter des Genozides. General Fritz Bronsart von Schellendorf drängte als Chef des osmanischen Generalstabes die Türken energisch zur Deportation weiterer Minderheiten – darunter hunderttausende Aramäer/Assyrer und Pontosgriechen. Noch 1919 rechtfertigte er seinen Befehl und schrieb »Der Armenier ist, wie der Jude, außerhalb seiner Heimat ein Parasit…« Daher käme auch »der Hass, der sich in mittelalterlicher Weise gegen sie als ‚unerwünschtes Volk‘ entladen habe und zu ihrer Ermordung führte«.

Armenier wurden zehntausendfach zu Zwangsarbeiten gezwungen. Auch und gerade von der deutschen Industrie: So wurden sie beim Bau der Bagdad-Bahn, die unter deutscher Federführung stattfand, eingesetzt. Es wurden Zwangsarbeitslager für Armenier errichtet, die Arbeit endete für die meisten mit dem Tod. Die Deutsche Bank, die Philipp Holzmann AG, Krupp, Borsig und andere verdienten mit diesem Projekt ihr Geld.

Nach ihrer Fertigstellung wurde die Bagdadbahn für die Deportationen der Armenier*innen eingesetzt. Der Transport in doppelbödigen Hammelwaggons musste von den Opfern selbst bezahlt werden.

Zur Anerkennung des Genozids durch den Deutschen Bundestag

Der Deutsche Bundestag hat am 31. Mai 2016 in einer Resolution anerkannt, dass der Deutsche Staat am Genozid an den Armeniern beteiligt gewesen ist. Der Bundespräsident hat von einer deutschen Mitschuld gesprochen, vermied aber eine juristisch klare Verantwortung. Nach der Verabschiedung der Resolution ist wenig geschehen, obwohl es in dem Resolutionstext heißt:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf im Rahmen finanzieller Möglichkeiten auch weiterhin innerhalb Deutschlands Initiativen und Projekte in Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Kultur zu fördern, die eine Auseinandersetzung mit den Geschehnissen von 1915/1916 zum Thema haben.

Wir fühlen uns von dieser Aufforderung angesprochen und haben auch deshalb das Mahnmal errichtet.

Gedenken, öffentliche Diskussion und Verantwortung

Das Gedenken an den armenischen Genozid ist keinesfalls nur eine Angelegenheit der armenischen Gemeinschaft; eine besondere Verantwortung liegt auch bei den Nachfahren der deutschen und türkischen Tätergesellschaften.

In der Türkei darf offiziell nicht von Völkermord gesprochen werden, Demonstrationen werden brutal zusammengeknüppelt, der armenische Journalist Hrant Dink wurde 2007 erschossen, die Hintermänner der Tat sind bis heute nicht einmal angeklagt.

Im Frühjahr 2017 haben 44 türkische Vereine und Verbände aus Köln und Umgebung einen Protest-Brief an die Stadt Köln geschickt. Sie wandten sich darin gegen einen »Gedenkstein zur Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich« auf dem Friedhof in Köln Brück, auf dem sich neben dem armenischen auch ein muslimisches Gräberfeld befindet, weil dadurch aus dem »Ort der Stille ein Ort des Streites und der politischen Auseinandersetzung« werden würde und dies ein »Verstoß gegen die Friedhofsordnung« sei.

Das von uns heute an diesem öffentlichen Ort aufgestellte Mahnmal verstehen wir als wichtige Ergänzung zu der letztjährigen Initiative der Armenischen Gemeinde Köln und dem inzwischen auf dem Friedhof aufgestellten Kreuzstein. Wir fühlen uns ausdrücklich mit der türkischen Zivilgesellschaft verbunden, die in ihrer Community und vom türkischen Staat eine Aufarbeitung des Genozids fordert und um Verständigung bemüht ist.

Wir wissen, dass das alleinige »Erinnern« künftige Katastrophen, Menschheitsverbrechen und Massengewalt nicht verhindern wird und leider kein Garant für ein friedliches Miteinander ist. Aber ohne die Erinnerung an das Geschehene verlieren wir unsere Menschlichkeit und die Wunden können nicht heilen. Die Opfer verdienen einen würdigen und sichtbaren Platz in der Geschichte und der Öffentlichkeit, aber auch die Täter müssen benannt werden und die Nachfolgestaaten ihrer historischen Verantwortung nachkommen.

Wir wünschen uns, dass das Mahnmal »Dieser Schmerz betrifft uns alle« zu einer guten und lebendigen Diskussion in unserer Stadt führt. Wir schenken es den Kölner Bürgerinnen und Bürgern, vertreten durch Sie, Frau Oberbürgermeisterin Reker und den Rat der Stadt Köln.

Köln, am 15. April 2018