Rede am Mahnmal „Dieser Schmerz betrifft uns alle“ am 24. April 2023 auf dem Brückenkopf der Hohenzollernbrücke in Sichtweite des Reiterstandbilds von Kaiser Wilhelm II.

gehalten von Dr. Rainer Will, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Köln, am 24. April 2023

Es sind 40 Jahre her, dass ich zum ersten Mal von Armenien hörte. Ich hatte damals das große Glück, ein Jahr lang in Jerusalem studieren zu können im Rahmen eines ökumenischen Studienjahres, das der Benediktiner-Abtei auf dem Zion angeschlossen war.

Der Abt der Abtei war ein großer Freund der orthodoxen und altorientalischen Kirchen und ihrer Liturgien. Er lud uns Studenten und Studentinnen dazu ein, ihn zur armenischen Vesper in die armenische Jakobus-Kathedrale im armenischen Viertel, dem Sitz des armenischen Patriarchen von Jerusalem, zu begleiten.

Hier hörte und erlebte ich zum ersten Mal die großartigen Gesänge und Riten der armenischen Liturgie und erfuhr dann bei weiteren Besuchen im armenischen Viertel von der uralten Geschichte des armenischen Volkes, seiner Sprache, seiner Kultur, seiner Musik und Literatur und seiner Kirche.

In Armenien wurde bereits im Jahr 301 n. Chr. das Christentum als Staatsreligion ausgerufen, also 80 Jahre bevor dies im Römischen Reich offiziell geschah.

Im Armenischen Viertel sah ich dann auch zum ersten Mal Bilder von den Deportationen hunderttausender Armenier, die über die Höhen des Taurus und Amanos in die mesopotanische Wüste getrieben wurden, um dort zu sterben, wenn sie nicht schon vorher vom Hungertod dahingerafft worden sind.

Jerusalem wurde für jene Armenier/innen, die noch fliehen konnten, zum Zufluchtsort. Im armenischen Viertel, das aus allen Nähten platzte, wurden tausende von Geflüchteten untergebracht und ernährt. Ihnen wurde geholfen bei der Suche nach einem Ort, wo sie zunächst einmal nur überleben konnten.

Hier in Jerusalem, jene Stadt, die dann nur drei Jahrzehnte später Zufluchtsort insbesondere für Juden und Jüdinnen aus Deutschland wurde, jene Stadt, in der sich die bedeutendste Gedenkstätte befindet, die an die deutsche, nationalsozialistische Judenvernichtung erinnert, wurde ich zum ersten Mal gewahr, dass Deutschland bzw. das Deutsche Reich auch am Genozid an den Armeniern beteiligt gewesen ist.

Die Massaker an den Armeniern bzw. die systematische Vernichtungspolitik der jung-türkischen Nationalisten fand unter Wissen und Schutz des Bündnisses mit dem Deutschen Reich im Ersten Weltkrieg statt. Die letzte Verantwortung für diese Mittäterschaft trug jene Person, auf deren Reiterstandbild wir hier unmittelbar schauen: Kaiser Wilhelm II.

Der deutsche Diplomat und Botschafter Hans Freiherr von Wangenheim unterrichtete Berlin über die sich 1915 ereignenden Gräueltaten telegrafisch wie folgt: „Dieser Umstand und die Art, wie die Umsiedlung durchgeführt wird, zeigen, dass die (jung-türkische; R.W.) Regierung tatsächlich den Zweck verfolgt, die armenische Rasse im türkischen Reich zu vernichten.“ Appelle an den Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg fanden aus „realpolitischen“ Gründen kein Gehör; im Gegenteil. Der Reichskanzler wies die Diplomaten mit folgender Richtlinie in die Schranken: „Unser einziges Ziel ist es, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht.“ Das Osmanische Reich kämpfte ja an der Seite des deutschen Kaisers Wilhelm II. gegen England, Frankreich und Russland.

Wenn wir in Richtung Museum Ludwig rüber schauen, erblicken wir die Säule aus Granit und Eisen des Maalot Denkmals des israelischen Künstlers Dani Karavan. Vom Dom her kommend führt eine lange in den Boden eingelassene Eisenschiene, die an eine Bahnschiene erinnert, genau auf die Säule zu, in deren Mitte ein Schlitz den Blick weiterführt auf die Hohenzollernbrücke und noch weiter in Richtung des Deutzer Bahnhofes. Auch wenn das Maalot-Denkmal kein Holocaust-Mahnmal ist, weckt es Assoziationen, die daran erinnern, dass vom Bahnhof Deutz aus die Kölner Deportationen in die Konzentrationslager ihren Ausgang nahmen.

Im Gedenken an all die vergessenen „Opfer der Geschichte“ und wegen der unmittelbaren Nähe zum Reiterstandbild Kaiser Wilhelms II. gibt es in Köln keinen evidenteren Ort als diesen hier, um auch an den Völkermord an den Armeniern zu erinnern. Köln ist die deutsche Stadt, in der die meisten Armenier leben; hier befindet sich auch der Bischofssitz der Armenisch-Apostolischen Kirche.

Aus diesem Grund kann ich Ihnen auch als Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Köln, in der neben den beiden Großkirchen über ein Duzend weitere Kirchen zusammenarbeiten, mitteilen, dass bei der im Juni 2022 stattgefunden Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft einstimmig beschlossen wurde, den Aufruf der Initiative „Völkermord erinnern“ zu unterstützen.

Wir fordern somit die Fraktionen des Kölner Rates und die Oberbürgermeisterin der Stadt Köln dazu auf, dem Genozid-Mahnmal „Dieser Schmerz betrifft uns alle“ hier an dieser Stelle, an der Hohenzollernbrücke, einen permanenten Platz zu verschaffen, solange keine befriedigende Gesamtlösung des Umgangs mit dem kolonialen Erbe, an den dieses Reiterstandbild erinnert gefunden wurde.

Wie wir heute Morgen im Kölner Stadtanzeiger lesen konnten, gibt es von Seiten türkischer Institutionen Widerstände gegen dieses Vorhaben. Deshalb möchte ich Ihnen von folgender

Begebenheit berichten. Ich war dabei als am 19.10.2014 ein armenischer Kreuzstein zum Gedenken an den Völkermord an den Armeniern in Neuwied am Rhein auf einem öffentlichen Platz der Stadt im Beisein des Neuwieder Oberbürgermeisters und anderer Vertreter/innen der Stadt vom damaligen armenischen Bischof Karekin Bekdjian eingeweiht wurde.

Der Druck der dann von Seiten eines türkischen Verbandes aufgebaut wurde mit dem Ziel, den Kreuzstein von dieser Stelle zu verbannen, führte dazu, dass der Neuwieder Oberbürgermeister (Nikolaus Roth) die armenische Gemeinde in Neuwied dazu drängte, diese möge doch von sich aus einen anderen Platz für den Kreuzstein suchen, d.h. woanders aufzustellen.

Wie es scheint, hat erst das solidarische Eintreten der anderen Kirchen in Neuwied, die in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen zusammenarbeiten, dazu geführt, dass der Oberbürgermeister dem Drängen der türkischen Institutionen dann doch nicht nachgegeben hat.

Aber zurück hierher nach Köln und der Forderung, dass hier an dieser Stelle das Genozid-Mahnmal „Dieser Schmerz betrifft uns alle“ aufgestellt werden sollte. Dabei geht es sowohl um die Erinnerung an den Genozid an den Armenien und zugleich um einen blinden Fleck unserer deutschen Geschichte. Es geht um die Notwendigkeit, sich der eigenen Verantwortung zu stellen mit dem Ziel, sensibilisiert durch das Geschehene, nun mit wachen Augen all jenen Entwicklungen entgegenzutreten, wo politische Akteure bereit sind, die Geschichte zu verschleiern und die Wahrheit mit Gewalt zu unterdrücken.

Ich möchte abschließend daran erinnern, was Cem Özdemir an dieser Stelle vor fast einem Jahr hier bei einem Gedenken gesagt hat. Er kritisierte die Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts, die dazu führte, dass das hier vorläufig hingestellte Genozid -Mahnmal von der Stadt abtransportiert wurde. Cem Özdemir wortwörtlich: „Das Zurückweichen der liberalen Demokratien, aus Angst vor den großen & kleinen Diktatoren & und ihren hiesigen VertreterInnen, muss endlich ein Ende haben.“

Wenn wir wirklich bereit sind, aus der Geschichte zu lernen und Verantwortung zu übernehmen, dann dürfen wir den Herausforderungen eines Genozid-Mahnmals, dessen Schmerz uns alle betrifft, an diesem Ort nicht ausweichen.

Rede zur Wiedererrichtung des Denkmals „Dieser Schmerz betrifft uns alle“ zum Gedenken an den Genozid am armenischen Volk

gehalten von Dr. Rainer Will, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Köln, am 24. April 2023

Es sind 40 Jahre her, dass ich zum ersten Mal von Armenien hörte. Ich hatte damals das große Glück, ein Jahr lang in Jerusalem studieren zu können im Rahmen eines ökumenischen Studienjahres, das der Benediktiner-Abtei auf dem Zion angeschlossen war.

Der Abt der Abtei war ein großer Freund der orthodoxen und altorientalischen Kirchen und ihrer Liturgien. Er lud uns Studenten und Studentinnen dazu ein, ihn zur armenischen Vesper in die armenische Jakobus-Kathedrale im armenischen Viertel, dem Sitz des armenischen Patriarchen von Jerusalem, zu begleiten.

Hier hörte und erlebte ich zum ersten Mal die großartigen Gesänge und Riten der armenischen Liturgie und erfuhr dann bei weiteren Besuchen im armenischen Viertel von der uralten Geschichte des armenischen Volkes, seiner Sprache, seiner Kultur, seiner Musik und Literatur und seiner Kirche.

In Armenien wurde bereits im Jahr 301 n. Chr. das Christentum als Staatsreligion ausgerufen, also 80 Jahre bevor dies im Römischen Reich offiziell geschah.

Im Armenischen Viertel sah ich dann auch zum ersten Mal Bilder von den Deportationen hunderttausender Armenier, die über die Höhen des Taurus und Amanos in die mesopotanische Wüste getrieben wurden, um dort zu sterben, wenn sie nicht schon vorher vom Hungertod dahingerafft worden sind.

Jerusalem wurde für jene Armenier/innen, die noch fliehen konnten, zum Zufluchtsort. Im armenischen Viertel, das aus allen Nähten platzte, wurden tausende von Geflüchteten untergebracht und ernährt. Ihnen wurde geholfen bei der Suche nach einem Ort, wo sie zunächst einmal nur überleben konnten.

Hier in Jerusalem, jene Stadt, die dann nur drei Jahrzehnte später Zufluchtsort insbesondere für Juden und Jüdinnen aus Deutschland wurde, jene Stadt, in der sich die bedeutendste Gedenkstätte befindet, die an die deutsche, nationalsozialistische Judenvernichtung erinnert, wurde ich zum ersten Mal gewahr, dass Deutschland bzw. das Deutsche Reich auch am Genozid an den Armeniern beteiligt gewesen ist.

Die Massaker an den Armeniern bzw. die systematische Vernichtungspolitik der jung-türkischen Nationalisten fand unter Wissen und Schutz des Bündnisses mit dem Deutschen Reich im Ersten Weltkrieg statt. Die letzte Verantwortung für diese Mittäterschaft trug jene Person, auf deren Reiterstandbild wir hier unmittelbar schauen: Kaiser Wilhelm II.

Der deutsche Diplomat und Botschafter Hans Freiherr von Wangenheim unterrichtete Berlin über die sich 1915 ereignenden Gräueltaten telegrafisch wie folgt: „Dieser Umstand und die Art, wie die Umsiedlung durchgeführt wird, zeigen, dass die (jung-türkische; R.W.) Regierung tatsächlich den Zweck verfolgt, die armenische Rasse im türkischen Reich zu vernichten.“ Appelle an den Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg fanden aus „realpolitischen“ Gründen kein Gehör; im Gegenteil. Der Reichskanzler wies die Diplomaten mit folgender Richtlinie in die Schranken: „Unser einziges Ziel ist es, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht.“ Das Osmanische Reich kämpfte ja an der Seite des deutschen Kaisers Wilhelm II. gegen England, Frankreich und Russland.

Wenn wir in Richtung Museum Ludwig rüber schauen, erblicken wir die Säule aus Granit und Eisen des Maalot Denkmals des israelischen Künstlers Dani Karavan. Vom Dom her kommend führt eine lange in den Boden eingelassene Eisenschiene, die an eine Bahnschiene erinnert, genau auf die Säule zu, in deren Mitte ein Schlitz den Blick weiterführt auf die Hohenzollernbrücke und noch weiter in Richtung des Deutzer Bahnhofes. Auch wenn das Maalot-Denkmal kein Holocaust-Mahnmal ist, weckt es Assoziationen, die daran erinnern, dass vom Bahnhof Deutz aus die Kölner Deportationen in die Konzentrationslager ihren Ausgang nahmen.

Im Gedenken an all die vergessenen „Opfer der Geschichte“ und wegen der unmittelbaren Nähe zum Reiterstandbild Kaiser Wilhelms II. gibt es in Köln keinen evidenteren Ort als diesen hier, um auch an den Völkermord an den Armeniern zu erinnern. Köln ist die deutsche Stadt, in der die meisten Armenier leben; hier befindet sich auch der Bischofssitz der Armenisch-Apostolischen Kirche.

Aus diesem Grund kann ich Ihnen auch als Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Köln, in der neben den beiden Großkirchen über ein Duzend weitere Kirchen zusammenarbeiten, mitteilen, dass bei der im Juni 2022 stattgefunden Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft einstimmig beschlossen wurde, den Aufruf der Initiative „Völkermord erinnern“ zu unterstützen.

Wir fordern somit die Fraktionen des Kölner Rates und die Oberbürgermeisterin der Stadt Köln dazu auf, dem Genozid-Mahnmal „Dieser Schmerz betrifft uns alle“ hier an dieser Stelle, an der Hohenzollernbrücke, einen permanenten Platz zu verschaffen, solange keine befriedigende Gesamtlösung des Umgangs mit dem kolonialen Erbe, an den dieses Reiterstandbild erinnert gefunden wurde.

Wie wir heute Morgen im Kölner Stadtanzeiger lesen konnten, gibt es von Seiten türkischer Institutionen Widerstände gegen dieses Vorhaben. Deshalb möchte ich Ihnen von folgender

Begebenheit berichten. Ich war dabei als am 19.10.2014 ein armenischer Kreuzstein zum Gedenken an den Völkermord an den Armeniern in Neuwied am Rhein auf einem öffentlichen Platz der Stadt im Beisein des Neuwieder Oberbürgermeisters und anderer Vertreter/innen der Stadt vom damaligen armenischen Bischof Karekin Bekdjian eingeweiht wurde.

Der Druck der dann von Seiten eines türkischen Verbandes aufgebaut wurde mit dem Ziel, den Kreuzstein von dieser Stelle zu verbannen, führte dazu, dass der Neuwieder Oberbürgermeister (Nikolaus Roth) die armenische Gemeinde in Neuwied dazu drängte, diese möge doch von sich aus einen anderen Platz für den Kreuzstein suchen, d.h. woanders aufzustellen.

Wie es scheint, hat erst das solidarische Eintreten der anderen Kirchen in Neuwied, die in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen zusammenarbeiten, dazu geführt, dass der Oberbürgermeister dem Drängen der türkischen Institutionen dann doch nicht nachgegeben hat.

Aber zurück hierher nach Köln und der Forderung, dass hier an dieser Stelle das Genozid-Mahnmal „Dieser Schmerz betrifft uns alle“ aufgestellt werden sollte. Dabei geht es sowohl um die Erinnerung an den Genozid an den Armenien und zugleich um einen blinden Fleck unserer deutschen Geschichte. Es geht um die Notwendigkeit, sich der eigenen Verantwortung zu stellen mit dem Ziel, sensibilisiert durch das Geschehene, nun mit wachen Augen all jenen Entwicklungen entgegenzutreten, wo politische Akteure bereit sind, die Geschichte zu verschleiern und die Wahrheit mit Gewalt zu unterdrücken.

Ich möchte abschließend daran erinnern, was Cem Özdemir an dieser Stelle vor fast einem Jahr hier bei einem Gedenken gesagt hat. Er kritisierte die Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts, die dazu führte, dass das hier vorläufig hingestellte Genozid -Mahnmal von der Stadt abtransportiert wurde. Cem Özdemir wortwörtlich: „Das Zurückweichen der liberalen Demokratien, aus Angst vor den großen & kleinen Diktatoren & und ihren hiesigen VertreterInnen, muss endlich ein Ende haben.“

Wenn wir wirklich bereit sind, aus der Geschichte zu lernen und Verantwortung zu übernehmen, dann dürfen wir den Herausforderungen eines Genozid-Mahnmals, dessen Schmerz uns alle betrifft, an diesem Ort nicht ausweichen.