Rede zum Gedenktag des Genozids an den Armeniern von Georg Restle
Georg Restle, Leiter und Moderator des ARD-Politmagazins Monitor
„Die größte Gefahr ist Gleichgültigkeit; nicht zu sehen, dass eine Gefahr überhaupt existiert in Europa. Nein Geschichte wiederholt sich nicht. Aber wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, dem drohen immer neue Tragödien.“
Diese Sätze der Philosophin und Holocaust-Überlebenden Agnes Heller, zeigen, worum es heute auch hier geht. Eben nicht, dass sich Geschichte zu wiederholen droht, sondern dass neue Katastrophen, neue Gräueltaten drohen, wenn wir aus den Lehren unserer Geschichte nicht die richtigen Schlüsse ziehen.
Natürlich gilt das vor allem für das größte aller Menschheitsverbrechen von deutschem Boden aus, den millionenfachen Mord an Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und allen anderen, die nicht dem Bild des reinen, gesunden deutschen Volkskörpers entsprachen. Aber es gilt auch für die anderen Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts, und dazu gehört der Genozid an den Armeniern ganz sicherlich, der heute vor 104 Jahren seinen furchtbaren Anfang nahm.
Wenn wir uns heute in Deutschland und Europa umschauen, dann scheint es allerdings so, als wären immer größere Teile der Gesellschaften nicht mehr bereit, sich zu erinnern. Nicht an die Menschheitsverbrechen und schon gar nicht an die Ursachen dafür. Wie anders ist es sonst zu erklären, dass sich ein völkischer Nationalismus in Europa wieder breit macht, der diese Verbrechen erst möglich gemacht hat? Ein völkischer Nationalismus, der auch hier in Deutschland bis weit in die Mitte der Gesellschaft vordringt und dessen Lautsprecher den Holocaust zur lästigen Fußnote der deutschen Geschichte erklären.
Wenn wir über Erinnerung sprechen, sollten wir aber nicht nur an die Verbrechen erinnern, sondern auch daran, wie solche oder ähnliche Verbrechen für alle Zukunft einmal verhindert werden sollten. Wir sollten uns also an auch an das Instrumentarium erinnern, dass Regierungen und Parlamente sich gegeben haben, eben weil sie die richtigen Lehren ziehen wollten aus den Gräueltaten des 20. Jahrhunderts:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ so steht es in Artikel 1 Grundgesetz.
„Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Artikel 2 Grundgesetz
„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Artikel 3 Grundgesetz
„Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ Artikel 4 Grundgesetz
Warum ich das so ausführlich erwähne? Nein, nicht nur, weil das Grundgesetz dieses Jahr 70 Jahre alt wird. Sondern weil es vor allem diese Grundrechte sind, die gewährleisten sollten, dass sich ein völkischer Nationalismus nicht wieder breit macht, der Menschen aussortiert, weil sie den falschen Glauben, die falsche Herkunft oder die falsche „Rasse“ haben. Es sind vor allem diese Grundrechte, die übrigens für alle gelten, nicht nur für Deutsche. Und die nicht nur in Deutschland gelten, sondern im Kern auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegt wurden – und in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte:
„Alle Menschen sind gleich an Würde und Rechten geboren“.
Allerdings scheint es, als seien diese zentralen Menschenrechte beileibe nicht mehr das, was sie eigentlich sein sollten: eine universelle, eine humanistische Selbstverständlichkeit.
Es ist wichtig, heute und hier daran zu erinnern, eben weil diese verfassungs- und völkerrechtlichen Postulate in einer immer größer werdenden Diskrepanz stehen zu den politischen Realitäten, auch und vor allem in Europa. Der chauvinistische, völkische Nationalismus, der gerade wieder sein hässliches Haupt in ganz Europa erhebt, ist nämlich immer ausgrenzend, immer rassistisch, immer freiheitsfeindlich. Weil er sich gegen elementare Grundrechte richtet, gegen das Diskriminierungsverbot, die Religionsfreiheit – ja, und damit natürlich auch gegen die Menschenwürde, die alle Menschenrechte umfasst. Und wenn wir von Europa sprechen, dann reden wir längst nicht mehr über rechtsextremistische Splittergruppen, sondern über Parteien, die immer zahlreicher in Parlamenten und Regierungen sitzen wie in Österreich, Italien, Ungarn oder Polen, und die diesen menschenrechtlichen Konsens aufbrechen wollen, soweit sie ihn nicht schon längst aufgebrochen haben. Weil sie Grundrechte nur noch für ihresgleichen gelten lassen wollen, weil sie Nation immer völkisch homogen definieren. Dass alle Menschen gleich an Würde und Rechten geboren seien, gilt dann nicht mehr; in diesem völkisch-nationalistischen Denken ist die Benachteiligung nach Herkunft, Glauben oder das, was Rasse genannt wird, geradezu konstitutiv.
Was das in der Praxis heißt, sehen wir längst: In Italien, wo viele Flüchtlinge rechtslos gestellt werden, ihnen nicht mal Unterkunft oder eine medizinische Notversorgung garantiert wird. In Ungarn oder Polen, wo die Religionsfreiheit quasi nur noch für Christen gelten soll; keinesfalls aber für Muslime. Und ja, auch in Deutschland, wo immer schärfere Gesetze aus Flüchtlingen Menschen zweiter Klasse machen. Alle „gleich an Würde und Rechten geboren“. Aber manche eben ein bisschen gleicher als andere. Und die anderen ertrinken immer noch im Mittelmeer oder werden von uns in die Folterkeller Libyens zurückgeschickt.
Es ist diese Politik, dieses Denken von einem homogenen Volkskörper, das den Keim der Ausgrenzung und der Ausmerzung in sich trägt. Wohin das führt, hat uns das letzte Jahrhundert gelehrt, als Eugenik, Antisemitismus und Rassismus in diesem Land zur Staatsdoktrin wurden. Wo Menschen erst zu Volksfeinden erklärt wurden, um sie dann zu morden. Und deshalb ist es so wichtig heute daran zu erinnern, worauf auch dieser Staat sich gründet. Und dass der Kampf gegen Nationalismus und Rassismus, gegen Ausgrenzung und Ausmerzung immer und zuallererst ein Kampf für die universellen Menschenrechte sein muss. Wer das nicht begreift, auch der ist am Ende dazu verdammt, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen und neue Tragödien, neue Menschheitsverbrechen zu gebären, die zu verhindern unser aller Auftrag sein muss.
Rede zum Gedenktag des Genozids an den Armeniern von Georg Restle
Georg Restle, Leiter und Moderator des ARD-Politmagazins Monitor
„Die größte Gefahr ist Gleichgültigkeit; nicht zu sehen, dass eine Gefahr überhaupt existiert in Europa. Nein Geschichte wiederholt sich nicht. Aber wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, dem drohen immer neue Tragödien.“
Diese Sätze der Philosophin und Holocaust-Überlebenden Agnes Heller, zeigen, worum es heute auch hier geht. Eben nicht, dass sich Geschichte zu wiederholen droht, sondern dass neue Katastrophen, neue Gräueltaten drohen, wenn wir aus den Lehren unserer Geschichte nicht die richtigen Schlüsse ziehen.
Natürlich gilt das vor allem für das größte aller Menschheitsverbrechen von deutschem Boden aus, den millionenfachen Mord an Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und allen anderen, die nicht dem Bild des reinen, gesunden deutschen Volkskörpers entsprachen. Aber es gilt auch für die anderen Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts, und dazu gehört der Genozid an den Armeniern ganz sicherlich, der heute vor 104 Jahren seinen furchtbaren Anfang nahm.
Wenn wir uns heute in Deutschland und Europa umschauen, dann scheint es allerdings so, als wären immer größere Teile der Gesellschaften nicht mehr bereit, sich zu erinnern. Nicht an die Menschheitsverbrechen und schon gar nicht an die Ursachen dafür. Wie anders ist es sonst zu erklären, dass sich ein völkischer Nationalismus in Europa wieder breit macht, der diese Verbrechen erst möglich gemacht hat? Ein völkischer Nationalismus, der auch hier in Deutschland bis weit in die Mitte der Gesellschaft vordringt und dessen Lautsprecher den Holocaust zur lästigen Fußnote der deutschen Geschichte erklären.
Wenn wir über Erinnerung sprechen, sollten wir aber nicht nur an die Verbrechen erinnern, sondern auch daran, wie solche oder ähnliche Verbrechen für alle Zukunft einmal verhindert werden sollten. Wir sollten uns also an auch an das Instrumentarium erinnern, dass Regierungen und Parlamente sich gegeben haben, eben weil sie die richtigen Lehren ziehen wollten aus den Gräueltaten des 20. Jahrhunderts:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ so steht es in Artikel 1 Grundgesetz.
„Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Artikel 2 Grundgesetz
„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Artikel 3 Grundgesetz
„Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ Artikel 4 Grundgesetz
Warum ich das so ausführlich erwähne? Nein, nicht nur, weil das Grundgesetz dieses Jahr 70 Jahre alt wird. Sondern weil es vor allem diese Grundrechte sind, die gewährleisten sollten, dass sich ein völkischer Nationalismus nicht wieder breit macht, der Menschen aussortiert, weil sie den falschen Glauben, die falsche Herkunft oder die falsche „Rasse“ haben. Es sind vor allem diese Grundrechte, die übrigens für alle gelten, nicht nur für Deutsche. Und die nicht nur in Deutschland gelten, sondern im Kern auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegt wurden – und in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte:
„Alle Menschen sind gleich an Würde und Rechten geboren“.
Allerdings scheint es, als seien diese zentralen Menschenrechte beileibe nicht mehr das, was sie eigentlich sein sollten: eine universelle, eine humanistische Selbstverständlichkeit.
Es ist wichtig, heute und hier daran zu erinnern, eben weil diese verfassungs- und völkerrechtlichen Postulate in einer immer größer werdenden Diskrepanz stehen zu den politischen Realitäten, auch und vor allem in Europa. Der chauvinistische, völkische Nationalismus, der gerade wieder sein hässliches Haupt in ganz Europa erhebt, ist nämlich immer ausgrenzend, immer rassistisch, immer freiheitsfeindlich. Weil er sich gegen elementare Grundrechte richtet, gegen das Diskriminierungsverbot, die Religionsfreiheit – ja, und damit natürlich auch gegen die Menschenwürde, die alle Menschenrechte umfasst. Und wenn wir von Europa sprechen, dann reden wir längst nicht mehr über rechtsextremistische Splittergruppen, sondern über Parteien, die immer zahlreicher in Parlamenten und Regierungen sitzen wie in Österreich, Italien, Ungarn oder Polen, und die diesen menschenrechtlichen Konsens aufbrechen wollen, soweit sie ihn nicht schon längst aufgebrochen haben. Weil sie Grundrechte nur noch für ihresgleichen gelten lassen wollen, weil sie Nation immer völkisch homogen definieren. Dass alle Menschen gleich an Würde und Rechten geboren seien, gilt dann nicht mehr; in diesem völkisch-nationalistischen Denken ist die Benachteiligung nach Herkunft, Glauben oder das, was Rasse genannt wird, geradezu konstitutiv.
Was das in der Praxis heißt, sehen wir längst: In Italien, wo viele Flüchtlinge rechtslos gestellt werden, ihnen nicht mal Unterkunft oder eine medizinische Notversorgung garantiert wird. In Ungarn oder Polen, wo die Religionsfreiheit quasi nur noch für Christen gelten soll; keinesfalls aber für Muslime. Und ja, auch in Deutschland, wo immer schärfere Gesetze aus Flüchtlingen Menschen zweiter Klasse machen. Alle „gleich an Würde und Rechten geboren“. Aber manche eben ein bisschen gleicher als andere. Und die anderen ertrinken immer noch im Mittelmeer oder werden von uns in die Folterkeller Libyens zurückgeschickt.
Es ist diese Politik, dieses Denken von einem homogenen Volkskörper, das den Keim der Ausgrenzung und der Ausmerzung in sich trägt. Wohin das führt, hat uns das letzte Jahrhundert gelehrt, als Eugenik, Antisemitismus und Rassismus in diesem Land zur Staatsdoktrin wurden. Wo Menschen erst zu Volksfeinden erklärt wurden, um sie dann zu morden. Und deshalb ist es so wichtig heute daran zu erinnern, worauf auch dieser Staat sich gründet. Und dass der Kampf gegen Nationalismus und Rassismus, gegen Ausgrenzung und Ausmerzung immer und zuallererst ein Kampf für die universellen Menschenrechte sein muss. Wer das nicht begreift, auch der ist am Ende dazu verdammt, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen und neue Tragödien, neue Menschheitsverbrechen zu gebären, die zu verhindern unser aller Auftrag sein muss.