Matinee-Rede von Peter Finkelgruen
Vor wenigen Tagen wurde der Seder-Abend begangen. Es ist der erste Abend des siebentägigen Pessah Festes. Auch wenn ich kein religiöser Mensch bin, so nehme ich doch gern an der Feier dieses Festes teil. Das liegt nicht zuletzt an einem Satz. Es ist ein Satz der über Erinnerung spricht und die Bedeutung die geschichtliche Erinnerung für den Menschen hat. Der Satz lautet:
„In jeder Generation sollte jeder Mensch sich betrachten, als ob er ganz persönlich aus Ägypten befreit worden wäre.“
Als ich im Jahr 1988 nach einem knappen Jahrzehnt der Arbeit in Jerusalem nach Deutschland zurückgekehrt bin ahnte ich nicht daß mir mehr als ein Jahrzehnt bevorstand in dem ich mich einer permanenten Konfrontation ausgesetzt sehen würde. Einer Konfrontation mit der Justiz dieses Landes. Einem Jahrzehnt daß eine einzige tägliche Erinnerung an die Geschichte dieses Landes und an die Untaten. die im Dritten Reich begangen wurden war. Das ich elf Jahre lang mich in die Geschichte vertiefen müste um in der Lage zu sein den Mann, der meinen Grossvater in der kleinen Festung Theresienstadt erschlagen hat, vor die Schranken eines Gerichts in der Bundesrepublik Deutschland zu bringen.
Während meiner Jahre in Israel erhielt ich Fotokopien von Briefen die meine Eltern auf ihrer Flucht vor den NS Schergen geschrieben haben. Es waren knapp dreißig lange und ausführliche zumeist Schreibmaschinengeschriebene Briefe. Sie wurden auf der Flucht aus Prag, ihrer letzten Station in Europa, in die Emigration nach Shanghai in China und von dort selbst geschrieben.
Schon vor der Rückkehr nach Deutschland hatte ich die Absicht gefasst diese Brief zu nutzen wie einen Reiseführer und die Reiseroute nach zu reisen. Meine Frau und ich beschlossen, diese Reise in Etappen zu absolvieren und fuhren nach Prag, der ersten Station der Reise. Mein Vater stammte aus Bamberg, meine Mutter aus Karlsbad. Sie heirateten in Prag. Dort began ihre Emigrationsreise, die sie bis nach Shanghai führen sollte. In Prag lebte meine Großmutter mütterlicherseits und mein Großvater väterlicherseits Sie war Christin. Er war Jude. Sie versteckte ihn in ihrer Wohnung.
Die nationalsozialistische Verfolgung der Juden erreichte schließlich aber auch Shanghai, wo die japanischen Verbündeten des Deutschen Reichs auf dessen Fordern und Drängen ein Getto für die circa 30 000 Flüchlinge erichtet haben. Dort wurde ich geboren. Meine Eltern waren von Nachrichten über ihre Eltern abgeschnitten. Mein Vater starb im im gleichenJahr. Eine Folge der miserablen hygienischen und medizinischen Verhältnissen. Ich überlebte mit meiner Mutter.
Nach dem Krieg und der Befreiung durch die Amerikaner erfuhr meine Mutter daß ihre Mutter Jahre der Haft in Konzentrationslagern überlebt hatte und daß ihr Schwiegervater, mein Großvater väterlicherseits, Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung wurde.
Diese elf Jahre der Konfrontation begannen für mich im Februar 1989, in dem Moment in dem eine Freundin meiner Großmutter, die ich in Prag besuchte, mir unter Tränen erzählte wie und von wem mein Großvater in der kleinen Festung Theresienstadt ermordet wurde. Meine Großmutter hatte mir, ehe sie selbst verstarb, oft erzählt daß mein Großvater nach ihrer gemeinsamen Verhaftung durch die Gestapo in der kleinen Festung Theresienstadt, einem Gefängnis der Gestapo Prag, gestorben war. Sie hatte mir aber nicht erzählt wie er zuTode kam, geschweige denn daß sie den Namen des Mörders genannt hätte. Sie kannte ihn nicht.
Ich hatte den Namen allerdings wenige Monate vor meinem Besuch in Prag in der Süddeutschen Zeitung gelesen. Eine kleine Nachrichtennotiz auf Seite 5 unten besagte daß der 1949 in der CSSR als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilte Anton Malloth von Italien in die Bundesrepublik abgeschoben worden sei. Die zuständige Statsanwaltschaft in Dortmung habe erklärt daß sie kein Interesse an der Auslieferung gehabt habe da „kein dringender Tatverdacht“ gegeben sei. Diese Meldung entsprach der Beiläufigkeit, die bei der Verfolgung von NS Verbrechen in den achtziger Jahren – und davor – in der Bundesrepublik zur Regel geworden war.
Auf der Rückfahrt von Prag und Theresienstadt wohin wir nach dem Besuch bei der neunzig Jahre alten Freundin meine Großvater fuhren, wurde uns war klar dass das Projekt der Reise entlang der Fluchtroute meiner Eltern, nun ad acta gelegt werden musste. Ich musste entscheiden wie ich auf die Nachricht die ich erhalten habe und auf das Wissen um den Mörder meines Großvater reagieren sollte. Ich kann nicht verleugnen, daß ich durchaus attavistische Regungen verspürte und unterschiedlichste Rachephantasien gehabt habe. Sie entwickelten sich entlang eine ganzen Skala von physischer Konfrontation und dem Einsatz meine Fäuste bis zur Handfhabung einer Pistole, die ich mir nachts am Kölner Hauptbahnhof besorgen würde – das Darknet gab es damals noch nicht -. Nur wenige Jahre später kam eine weitere Variante hinzu. Mit Freunden wurden dreimal Pläne entwickelt, den Mörder der die Jahre nach seiner Ausweisung in die Bundesrepublik in München Pullach in einem Altersheim in direkten Nachbarschaft zum BND lebte, zu entführen und bei der Polizei in Theresienstadt sozusagen abzuliefern.
Durchgesetzt hat sich keine dieser Phantasien. Durchgesetzt hat sich die Überzeugung, dass es richtig und notwendig sei den Rechtstaat Bundesrepublik herauszufordern und das Recht durchzusetzen. Die naive Vorstellung es müße eine Selbstverständlichkeit sein daß in diesem Land ein Mörder angeklägt und seine Tat vor Gericht öffentlich verhandelt wird.
Ich kann nicht sagen ob ich diese Entscheidung damals so getroffen hätte wenn ich gewusst hätte, daß es elf Jahre Arbeit, Geld und des vollen Einsatzes aller Möglichkeiten bedürfen würde um das Ziel zu erreichen.
Obwohl – meine bisherigen Erfahrungen in und mit der Bundesrepublik Deutschland, bei Fragen der Verfolgung von NS-Verbrechen und ihr Umgang mit der Ära des Nationalsozialismus hätten mir eine Warnung sein können.
Mein Engagement in Sachen Edelweispiraten in Köln. Die Konfrontation mit der Hartleibigkeit der Behörden, die Jahre brauchten, um den Widerstandscharakter der Edelweispiraten anzuerkennen Sie haben im Gegensatz zum größten Teil der bürgerlichen Gesellschaft dieser Stadt einen Beitrag zu Rettung der Ehre dieser Stadt geleistet.
Ich habe bei Yad Vashem in Jerusalem den Antrag gestellt drei Personen aus dem Umkreis der Edelweispiraten als Gerechte unter den Völkern anzuerkennen. Eingereicht habe ich von mir gesammelte Unterlagen über das Verstecken mehrerer jüdischer Personen durch die Edelweispiraten. Allerding durfte ich erleben daß der Kölner Oberbürgermeister vor dem Rat der Patenstadt Tel-Aviv ein Rede hielt in der er die Edelweispiraten als eine kriminelle Gang charakterisierte.
Natürlich wußte ich auch um die Erfahrungen des Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer was die Unzuverlässigkeit der Justiz, NS Verbrecher ihrem gerechten Urteil zuzuführen anging.
Es waren Jahrzehnte der frühen Bundesrepublik, die von Namen wie Globke, dem Kommentator der Nürnberger Gesetze und unter dem Kanzler Adenauer Chef des Kanzleramtes, Bundesministern wie Oberländer der an Kriegsverbrechen in Lemberg beteiligt war geprägt war. Die Liste der Namen ehemaliger Kriegsverbrecher im öffentlichen Dienst und an Schaltstellen des öffentlichen Lebens, ließe sich beliebig fortsetzen.
Die Grundlage dieses dunklen Kapitels der frühen Bundesrepublik war wohl ein Artikel des Grundgesetzes diese Landes. Es war der Artikel 131 dieses Gesetzes mit Verfassungsrang. Er lautet:
Die Rechtsverhältnisse von Personen einschließlich der Flüchtlinge und Vertriebenen, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienste standen, aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen ausgeschieden sind und bisher nicht oder nicht ihrer früheren Stellung entsprechend verwendet werden, sind durch Bundesgesetz zu regeln. Entsprechendes gilt für Personen einschließlich der Flüchtlinge und Vertriebenen, die am 8. Mai 1945 versorgungsberechtigt waren und aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen keine oder keine entsprechende Versorgung mehr erhalten.
Mit einfachen Worten: allen, die Beamte und Funktionsträger des Staates unter den Nationalsozialisten waren, wurden ihre Rechte, ihre Stellung und ihre Pensionen garantiert.
All das wissend habe ich mich daran gemacht die Justiz dieses Staates herauszufordern und zu verlangen daß der Mörder meine Großvaters für seine Taten vor Gericht gestellt wird. Wenn ich das alles so bedenke, klingt es ein wenig nach naiver Allmachtsphantasie. Bewusst war ich mir dessen damals so nicht.
In den Jahren die folgten musste ich alle meine Fähigkeiten und Kenntnisse, die mein Beruf als Journalist, meine Erfahrungen in der deutschen Politik und meine Kontakte permanent mobilisieren und einsetzen. Von den finanziellen Kosten ganz zu schweigen.
Das ich bei meinen Bemühungen auch in Visier der Stillen Hilfe geraten würde, habe ich damals auch nicht gewusst. Die Stille Hilfe ist eine Organisation, die sich für Anton Malloth gleich nach seiner Ankunft in München nach der Ausweisung aus Italien einsetzte.
Anton Malloth wurde geholfen. Gudrun Burwitz nahm sich höchstpersönlich seiner Sache an. Die Tochter Heinrich Himmlers, eine Art grauer Eminenz der rechten Szene in Deutschland, sorgte dafür, dass Anton Malloth in ein komfortables Altersheim umziehen konnte und dort jahrelang unbehelligt blieb – die Kosten für die Unterbringung übernahm das Sozialamt der Stadt München. Zur gleichen Zeit war dieser Sozialhilfeempfänger Besitzers eines beachtlichen Hauses in Meran. Gudrun Burwitz war eine der tragenden Säulen der „Stillen Hilfe für Internierte und Kriegsgefangene“, einem Verein, der jahrzehntelang aufgrund von Gemeinnützigkeit keine Steuern bezahlen musste. Einem Verein, der nicht nur als die erste Neonaziorganisation in der Bundesrepublik gelten kann, sondern der auch das Netz der braunen Kameraden nach dem Krieg weiter wob und eine ungebrochene Kontinuität bewirkte, auf der die rechte Szene heute aufbauen kann.
Der Leiter der Kreisverwaltung München bei der sich die Stille Hilfe erfolgreich für Anton Malloth einsetzte war
Hans-Peter Uhl. Er war von 1987 bis 1998 als Kreisverwaltungsreferent Leiter der Sicherheits- und Ordnungsbehörde der Landeshauptstadt München. Er war der Verantwortliche dafür dass Anton Malloth auf Kosten des Sozialamtes einen Platz im dem Altersheim in Pullach bekam. Er war auch verantwortlich dafür daß Anton Malloth deutche Personalpapiere ausgestellt bekam – und das obwohl Anton Malloth in Italien die deutsche Staatsbürgerschaft amtlich und nachweislich aufgegeben hat. Diese Tatsache, die Ausstellung deutscher Personalpapiere, sollte sich im kommenden Jahrzehnt als wirksamer Schutz vor rechtlicher Verfolgung des Anton Malloth erweisen. Die tschechische Regierung konnte ihre Forderung nach Auslieferung des Anton Malloth nicht durchsetzen, da das deutsche Grundgesetz die Auslieferung deutscher Staatsbürger verbietet.
Hans Peter Uhl wurde 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er wurde innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Justitiar seiner Fraktion. Bei ihm musste ich immer an das Sprichwort vom Bock als Gärtner denken.
Unter dem Schutz den die Kreisverwaltung München dem Mörder meines Großvater angedeihen ließ brauchte Anton Malloth auch die Ermittlungen der Zentrallstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von national-sozialistischen Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund, nicht zu fürchten. Schließlich hatte diese Dienststelle der NRW Justiz den Komplex Kleine Festung Theresienstadt ja bereits lange Zeit bearbeitet. Bereits im ersten und zweiten Jahr meiner Bemühungen erhielt ich Zugang zu diesen Ermittlungsakten. Für mich war das wichtigste Dokument aus diesem Ermittlungsverfahren eine Art Zusammenfassung die der Staatsanwaltschaft Dortmund dazu diente das Verfahren gegen Anton Malloth immer wieder einzustellen. Es war eine 248 Seiten lange Zusammenfassung der ermittelten Verbrechen in diesem Gestapogefängnis und eine Zuordnung von Opfern und Tätern. Da waren 146 verdächtige Täter und 764 Fälle von Mord aufgeführt. Dieser Komplex „Straftaten im Gestapogefägnis Kleine Festung Theresienstadt„ wurde über 25 Jahre , also ein Vierteljahrhundert ermittelt ohne daß eine einzige Anklage geschweige denn Verurteilung folgte.
Meine Aufgabe und meine Anstrengungen in den ganzen Jahren war nun, die wiederholten Bemühungen der Staatsanwaltschaft das Verfahren einzustellen, zu verhindern. Zu verhindern daß der Mord an meinem Großvater „zu den Akten“ gelegt wurde, der Mörder weiter seine Unterstützung im Altersheim in München genießen konnte.
Ich mußte mit Hilfe befreundeter Juristen. Journalisten und Künstlern immer wieder die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erringen und auf den Fall lenken. Ich schrieb zahllose Artikel, und zwei Bücher die Aufmerksamkeit erhielten. Der Filmemacher Dietrich Schubert drehte zwei Dokumentarfilme zum Thema die im deutsche Fernsehen gezeigt wurden. Der Bühnenautor Joshua Sobol, schrieb ein Theaterstück mit dem Titel „Schöner Toni“ – das war der Spitzname von Anton Malloth in Theresienstadt. Es wurde im Schauspielhaus Düsseldorf in Anwesenheit des damaligen Ministerpräsidenten Rau uraufgeführt, und es wurde in Jerusalem, in Wien und in der Schweiz nachgespielt.Der Leiter des Simon Wiesenthal Zentrums in Jerusalem engagierte sich in dem Fall.
Die Reaktion des zuständigen Staatsanwalts bei einer Gelegenheit war nicht eine Anklage gegen Anton Malloth zu erheben – sondern eine Klage gegen Ralph Giordano zu einzureichen. Dieser hatte den Staatsanwalt in einer Rezension meins Buches „Haus Deutschland“ einen „emotionslosen Ochsenfrosch“ genannt. Seine Klage hatte der Dortmunder Staatsanwalt allerding fünf Minuten nach Eröffnung des Verfahren vor dem Frankfurter Gericht zurückgezogen. Bekanntgegeben wurde dies zur gleichen Zeit vom damaligen NRW Justizminister Krumsiek im Landtag in Düsseldorf. Abgeordnete, besonders die damalige Abgeordnete Brigitte Schuman der Grünen hatte sich in zahlreichen Anfragen an die Landesregierung mit Unterstützung ihre Fraktion vehement in der Sache engagiert. Auch Bundestagsabgeordnete haben sich in diesem Fall engagiert und an die auf einander folgenden Bundesjustizminister gewandt. Erwähnen will ich zwei. Den Abgeordneten Christian Ströbele und den damaligen Abgeordneten Guido Westerwelle. Es waren aber nicht nur die Legislativen in Düsseldorf und in Bonn die ich mit der Sache befasste. Im Landtag von Bayern kam es zu Anfragen. Auch im Ausland gab es Zeitungs- und Fernsehberichte. Es folgten Verlautbarungen Stellungnahme der Regierungen in Prag und Wien. Kurz vor dem Ende der Affäre hat die bayerische Landesregierung einen Emisär nach Rom geschickt der die italienische Regierung bewegen sollte die Bestätigung der Staatenlosigkeit Malloths ungeschehen zu machen. Er hatte keinen Erfolg. Ich überreichte zu der Zeit in Prag der dortigen Regierung ein juristischen Gutachten daß die Staatenlosigkeit Anton Malloths belegte und feststellte. Prag konnte nun seine Auslieferung aus Bayern verlangen. Kurz ehe die Entscheidung des damaligen bayrischen Ministerpräsidenten als Kanzlerkandidat ins Rennen zu gehen, bekannt wurde, erfolgte die Festnahme Anton Malloth in dem Altersheim in München Pullach und die Anklage vor dem München Strafgericht, der die Verhandlung und die Verurteilung des Mörders meines Großvaters folgte.