Rede zur Enthüllung des Kölner Mahnmals »Dieser Schmerz betrifft uns alle«
Köln, 15. April 2018
Das Mahnmal, das gerade von unseren Gästen der Matinee enthüllt worden ist, hat folgende Inschrift in deutscher, armenischer, türkischer und englischer Sprache:
Dieser Schmerz betrifft uns alle
Während des 1. Weltkrieges – zwischen 1915 und 1918 –
wurden in der heutigen Türkei über eine Million armenische
Frauen, Männer und Kinder aus ihren Häusern vertrieben,
deportiert und ermordet. Das Osmanische Reich
und die beteiligten deutschen Offiziere unter Führung Kaiser
Wilhelm II. tragen die Verantwortung für diesen
Völkermord an der armenischen Bevölkerung.
Nur eine entschiedene Ächtung der Entwürdigung
von Minderheiten und die Einsicht, dass es weder religiöse,
nationale noch ethnische Überlegenheit
zwischen den Menschen gibt, kann solche Verbrechen verhindern.
Das Mahnmal steht an einem besonderen Ort:
Es ist in unmittelbarer Nähe zum Reiterstandbild Kaiser Wilhelm II. errichtet worden. Dieser trägt als Staatsoberhaupt des deutschen Kaiserreichs erhebliche Mitverantwortung am Genozid an der armenischen Bevölkerung. Ihm, seinen Diplomaten und Offizieren war von Beginn an klar, dass die osmanischen Verbündeten die Armenier vernichten werden. Deutsche Militärs und Diplomaten besetzten Schlüsselpositionen im militärischen und zivilen Staatsapparat des osmanischen Reiches. 1913 waren fast 800 deutsche Offiziere in Istanbul zur militärischen Aufrüstung des Bündnispartners stationiert.
In der heutigen Matinee sind wir an die grausamen Geschehnisse während der Völkermorde an den OvaHerero und Nama, den Armeniern, aber auch Hunderttausenden Aramäern/Assyrern und Pontosgriechen, den Juden Europas und den Roma und Sinti erinnert worden. Wir möchten hier nur noch an einem Beispiel die unmittelbare Beteiligung der deutschen Industrie an der Vernichtung der Armenier zeigen:
Sie wurden zehntausendfach zu Zwangsarbeiten gezwungen unter anderem beim Bau der Bagdad-Bahn, die unter deutscher Federführung stattfand. In den eingerichteten Zwangsarbeitslagern endete die Arbeit für die meisten mit dem Tod. Unter anderem die Deutsche Bank, die Philipp Holzmann AG, Krupp und Borsig verdienten ihr Geld mit diesem Projekt. Die Bagdadbahn wurde für die Deportationen der Armenier eingesetzt. Der Transport in doppelbödigen Hammelwaggons musste von den Opfern selbst bezahlt werden.
Der Deutsche Bundestag hat 2016 in seiner Resolution anerkannt, dass der Deutsche Staat am Genozid an den Armeniern beteiligt gewesen ist. Von seiner Aufforderung, sich mit diesem Verbrechen auseinander zu setzen, haben wir uns angesprochen gefühlt und das Mahnmal errichtet.
Hier in Köln sind wir mit einer besonderen kommunalpolitischen Geschichte konfrontiert: Im Frühjahr 2017 haben 44 türkische Vereine und Verbände aus Köln und Umgebung einen Protest-Brief an die Stadt Köln geschickt. Sie wenden sich darin gegen einen „Gedenkstein zur Erinnerung an den Völkermord an Armeniern im Osmanischen Reich“ auf einem Friedhof in Köln Brück, auf dem sich neben dem armenischen auch ein muslimisches Gräberfeld befindet. Diese türkischen Vereine und Verbände sehen die Friedhofsruhe gestört, wenn sie an diesem Stein vorbeigehen müssen.
Das von uns heute an diesem öffentlichen Ort aufgestellte Mahnmal verstehen wir als wichtige Ergänzung zu der letztjährigen Initiative der Armenischen Gemeinde Köln und dem inzwischen auf dem Friedhof aufgestellten Kreuzstein. Wir fühlen uns mit der türkischen Zivilgesellschaft eng verbunden, die in ihrer Community und vom türkischen Staat eine Aufarbeitung des Genozids fordert und um Verständigung bemüht ist.
Etwa ein Dutzend Intellektuelle haben sich schon bereit erklärte Pate für das heute enthüllte Mahnmal zu werden und dieses zu unterstützen. Zu ihnen zählen:
– Günter Wallraff
– Dogan Akhanli
– Gunter Demnig
– Martin Stankowski
– Prof. Dr. Micha Brumlik
– Çiler Fırtına
– Ragıp Zarakolu
– Peter Finkelgruen
– Muriel Mirak-Weissbach
– und Prof. Dr. Martin Pätzold
Dieses Mahnmal ist das erste in Deutschland welches neben der türkischen auch die deutsche Mitverantwortung beim Völkermord an den Armeniern thematisiert. Es setzt ein Zeichen. Es befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Mahnmal für die ermordeten Homosexuellen während des Nationalsozialismus und in Sichtweite zum Deportationsweg der Kölner Sinti und Roma und dem Ma‘alot von Dani Karavan. Wir halten es auch für dringend geboten, dass ein würdiger Gedenkort in Berlin an den Völkermord an Ovaherero und Nama entsteht. Wir unterstützen nachdrücklich die Forderungen nach Entschuldigung und Entschädigung der Nachfahren der Völkermorde.
Wir wissen, dass das Erinnern an Menschheitsverbrechen künftige Gewalt und Vernichtung nicht verhindert, es ist kein Garant für ein friedliches Miteinander. Aber ohne dieses Erinnern verlieren wir unsere Menschlichkeit und Wunden können nicht heilen. Wir wollen für die Opfer einen würdigen Platz in der Geschichte. Wir wollen die Täter und Verantwortlichen solcher Verbrechen benennen und die Nachfolgestaaten zur Rechenschaft ziehen.
Heute sind hier Menschen mit unterschiedlichen Herkünften zusammen gekommen. Wir lassen uns nicht ethnisieren, nicht nationalisieren, wir wollen ein Leben ohne Rassismus, ohne Sexismus und ohne Ausbeutung. Kriege und Repression erzürnen uns, wir weigern uns mitzumachen und werden sie immer bekämpfen. Das Gedenken an die Genozide ist keine Angelegenheit der betroffenen Völker, sondern muss allen Menschen als Mahnung dienen, insbesondere aber den Tätergesellschaften. Durchbrechen wir das Verschweigen und das Leugnen.
Mit diesem Mahnmal drücken wir, die wir hier anwesend sind, unsere Verbundenheit mit den Nachfahren der Opfer aus und unterstützen vergleichbare Initiativen in unserer Partnerstadt Istanbul.
Die Initiative Völkermord Erinnern hat das Mahnmal den Kölner Bürger*innen geschenkt und der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker heute eine Schenkungsurkunde zugestellt.
Köln, 15.04.2018