Rede zum Gedenken an den Völkermord an den Armeniern 1915
Auch am 24. April diesen Jahres versammelten sich über hundert Menschen am Mahnmal „Dieser Schmerz betrifft uns alle“, um der Opfer des Genozids an den Armeniern zu erinnern, der vor 110 Jahren im damaligen Osmanischen Reich begann. Der Komitas-Chor der Armenischen Gemeinde rahmte die Feierstunde mit Liedern ein, Gemeindepfarrer Hayr Yeghishe Avetisyan begann mit einer Andacht, danach wurden Beiträge von Atranik Tabaker, Talin Kalatas und Wolfgang Heiermann vorgetragen:
***
„Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freunde,
im Namen der Armenischen Gemeinde Köln begrüße ich Sie zu der heutigen Gedenkveranstaltung am Mahnmal auf der Hohenzollernbrücke.
Am heutigen Tag jährt sich zum 110. Mal ein Menschheitsverbrechen, das sich tief in das kollektive Gedächtnis eines Volkes eingebrannt hat. Der Völkermord an den Armenierinnen und Armeniern im Jahr 1915 ist nicht einfach nur ein historisches Ereignis – er war und ist eine blutige Zäsur, ein Riss in der jahrtausendealten armenischen Geschichte, der bis heute nicht verheilt ist.
Bis zu jenem Schicksalsjahr waren die Armenierinnen und Armenier ein unverzichtbarer Bestandteil der osmanischen Gesellschaft. Über Jahrhunderte hinweg lebten sie im Vielvölkerstaat des Osmanischen Reiches und prägten Handel, Kultur, Bildung und Wissenschaft. Ihre Spuren finden sich in allen gesellschaftlichen Bereichen. Und doch wurden all diese kulturellen Errungenschaften plötzlich in Frage gestellt. In einem Akt systematischer Gewalt wurden über 1,5 Millionen Armenierinnen und Armenier aus ihrer angestammten Heimat vertrieben, ausgeraubt, entrechtet und entmenschlicht.
Der kulturelle Bruch, den dieses Verbrechen verursachte, begleitet das armenische Volk bis heute – wie eine Wunde, die nicht heilen will. Eine Wunde, die mit jeder neuen Gewalt, mit jeder neuen Bedrohung, mit jedem Wegschauen der Weltgemeinschaft erneut aufzubrechen scheint.
110 Jahre – das klingt nach Geschichte, nach Abstand, nach etwas Vergangenem. Und doch fühlt es sich für viele Armenierinnen und Armenier heute wie eine schmerzhafte Gegenwart an. Denn die Gefahr, einem jahrtausendealten Kulturvolk seine Identität, sein Erbe, ja sein Gesicht zu rauben, ist auch heute noch erschreckend real.
Im Herbst 2020 zeigte sich das auf erschütternde Weise: Während das armenische Volk im Bergkarabach-Krieg erneut gezwungen war, um seine physische Existenz und kulturelle Identität zu kämpfen, wandte sich die Weltgemeinschaft erneut von den Armenierinnen und Armeniern ab. Es war ein stilles, strategisches Wegsehen – ein schmerzhaftes Schweigen. Vor unseren Augen wird die Geschichte dieser Region umgeschrieben, und die armenische Präsenz dort sukzessive getilgt.
Plötzlich verschwimmen die Grenzen zwischen damals und heute. Die 110 Jahre, die uns vom Jahr 1915 trennen, erscheinen nicht mehr wie Vergangenheit – sondern wie ein fortwährendes Echo, das bis in unsere Gegenwart hallt.
Wir stehen hier, um der Menschen zu gedenken, die ihr Zuhause, ihre Familie und ihr Leben verloren haben. Wir erinnern uns an die armenische Kultur, die beinahe ausgelöscht wurde – und dennoch überlebte. Wir setzen gemeinsam ein Zeichen: gegen das Vergessen, gegen das Verdrängen, gegen die Leugnung.
Das Mahnmal, das durch das unermüdliche Engagement der Initiative „Anerkennung Jetzt“ entstanden ist, trägt eine klare und unmissverständliche Botschaft. Es ist ein Protest gegen das Vergessen und ein sichtbares Zeichen der Erinnerung – für die Armenierinnen und Armenier, für die Pontosgriechinnen und Pontosgriechen, für die Aramäerinnen und Aramäer, für alle Menschen, die Verfolgung erlitten haben oder ihr noch heute ausgesetzt sind.
Es erinnert uns daran, dass Verfolgung, Verleumdung und Vernichtung niemals toleriert werden dürfen – weder heute noch in Zukunft.
Es liegt in unserer Verantwortung, das Gedenken an die Opfer des Völkermordes wachzuhalten. Es liegt an uns, eine Zukunft zu gestalten, in der kulturelle Vielfalt geschützt, Menschlichkeit verteidigt und Gerechtigkeit eingefordert wird.
Lassen Sie uns also heute – 110 Jahre nach dem Völkermord an den Armenierinnen und Armeniern – gemeinsam erinnern, gemeinsam mahnen und gemeinsam für eine Welt einstehen, in der sich solche Verbrechen nie wiederholen.
Vielen Dank“
Köln, den 24. April 2025
Rede des Vorsitzenden der armenischen Gemeinde in Köln, Antranik Tabaker, zum Gedenken an den Völkermord an den Armeniern 1915
Auch am 24. April diesen Jahres versammelten sich über hundert Menschen am Mahnmal „Dieser Schmerz betrifft uns alle“, um der Opfer des Genozids an den Armeniern zu erinnern, der vor 110 Jahren im damaligen Osmanischen Reich begann. Der Komitas-Chor der Armenischen Gemeinde rahmte die Feierstunde mit Liedern ein, Gemeindepfarrer Hayr Yeghishe Avetisyan begann mit einer Andacht, danach wurden Beiträge von Atranik Tabaker, Talin Kalatas und Wolfgang Heiermann vorgetragen:
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„Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freunde,
im Namen der Armenischen Gemeinde Köln begrüße ich Sie zu der heutigen Gedenkveranstaltung am Mahnmal auf der Hohenzollernbrücke.
Am heutigen Tag jährt sich zum 110. Mal ein Menschheitsverbrechen, das sich tief in das kollektive Gedächtnis eines Volkes eingebrannt hat. Der Völkermord an den Armenierinnen und Armeniern im Jahr 1915 ist nicht einfach nur ein historisches Ereignis – er war und ist eine blutige Zäsur, ein Riss in der jahrtausendealten armenischen Geschichte, der bis heute nicht verheilt ist.
Bis zu jenem Schicksalsjahr waren die Armenierinnen und Armenier ein unverzichtbarer Bestandteil der osmanischen Gesellschaft. Über Jahrhunderte hinweg lebten sie im Vielvölkerstaat des Osmanischen Reiches und prägten Handel, Kultur, Bildung und Wissenschaft. Ihre Spuren finden sich in allen gesellschaftlichen Bereichen. Und doch wurden all diese kulturellen Errungenschaften plötzlich in Frage gestellt. In einem Akt systematischer Gewalt wurden über 1,5 Millionen Armenierinnen und Armenier aus ihrer angestammten Heimat vertrieben, ausgeraubt, entrechtet und entmenschlicht.
Der kulturelle Bruch, den dieses Verbrechen verursachte, begleitet das armenische Volk bis heute – wie eine Wunde, die nicht heilen will. Eine Wunde, die mit jeder neuen Gewalt, mit jeder neuen Bedrohung, mit jedem Wegschauen der Weltgemeinschaft erneut aufzubrechen scheint.
110 Jahre – das klingt nach Geschichte, nach Abstand, nach etwas Vergangenem. Und doch fühlt es sich für viele Armenierinnen und Armenier heute wie eine schmerzhafte Gegenwart an. Denn die Gefahr, einem jahrtausendealten Kulturvolk seine Identität, sein Erbe, ja sein Gesicht zu rauben, ist auch heute noch erschreckend real.
Im Herbst 2020 zeigte sich das auf erschütternde Weise: Während das armenische Volk im Bergkarabach-Krieg erneut gezwungen war, um seine physische Existenz und kulturelle Identität zu kämpfen, wandte sich die Weltgemeinschaft erneut von den Armenierinnen und Armeniern ab. Es war ein stilles, strategisches Wegsehen – ein schmerzhaftes Schweigen. Vor unseren Augen wird die Geschichte dieser Region umgeschrieben, und die armenische Präsenz dort sukzessive getilgt.
Plötzlich verschwimmen die Grenzen zwischen damals und heute. Die 110 Jahre, die uns vom Jahr 1915 trennen, erscheinen nicht mehr wie Vergangenheit – sondern wie ein fortwährendes Echo, das bis in unsere Gegenwart hallt.
Wir stehen hier, um der Menschen zu gedenken, die ihr Zuhause, ihre Familie und ihr Leben verloren haben. Wir erinnern uns an die armenische Kultur, die beinahe ausgelöscht wurde – und dennoch überlebte. Wir setzen gemeinsam ein Zeichen: gegen das Vergessen, gegen das Verdrängen, gegen die Leugnung.
Das Mahnmal, das durch das unermüdliche Engagement der Initiative „Anerkennung Jetzt“ entstanden ist, trägt eine klare und unmissverständliche Botschaft. Es ist ein Protest gegen das Vergessen und ein sichtbares Zeichen der Erinnerung – für die Armenierinnen und Armenier, für die Pontosgriechinnen und Pontosgriechen, für die Aramäerinnen und Aramäer, für alle Menschen, die Verfolgung erlitten haben oder ihr noch heute ausgesetzt sind.
Es erinnert uns daran, dass Verfolgung, Verleumdung und Vernichtung niemals toleriert werden dürfen – weder heute noch in Zukunft.
Es liegt in unserer Verantwortung, das Gedenken an die Opfer des Völkermordes wachzuhalten. Es liegt an uns, eine Zukunft zu gestalten, in der kulturelle Vielfalt geschützt, Menschlichkeit verteidigt und Gerechtigkeit eingefordert wird.
Lassen Sie uns also heute – 110 Jahre nach dem Völkermord an den Armenierinnen und Armeniern – gemeinsam erinnern, gemeinsam mahnen und gemeinsam für eine Welt einstehen, in der sich solche Verbrechen nie wiederholen.
Vielen Dank“
Köln, den 24. April 2025