Der Beschluss der Stadtverwaltung, das Mahnmal aus dem Stadtbild zu entfernen, macht das Leid von Millionen von Menschen unsichtbar

Rede von Talin Kalatas, Geschäftsführerin der Naturfreunde Nordrheinwestfalen, auf der Protestveranstaltung am 24. Mai 2023 an der Hohenzollernbrücke:

„Es ist jetzt ziemlich genau vier Wochen her, dass ich hier an dieser Stelle versuchte, Opfern des Genozids an den Armeniern eine Stimme zu geben und darüber sprach, dass es möglich sei, Leid zu teilen, und zwar indem nicht nur die Opfergruppen dieses Leid tragen müssen. Und dass eben dieses Mahnmal ein Schritt sei, um aus machtlosen und passiven Opfern Überlebende zu machen, Menschen mit Stimmen und Geschichten, Menschen mit Wert. Das, was wir durch die Stadtverwaltung erleben, ist das genaue Gegenteil davon, Menschen Wert zuzugestehen und ihr Leid mitzutragen. Mir als Aktivistin für eine gerechte Gesellschaft, aber auch als Nachfahrin von Überlebenden bricht es das Herz, dass das Mal abgebaut werden soll. Der Beschluss der Stadtverwaltung, das Mahnmal aus dem Stadtbild zu entfernen, missachtet damit nicht nur unsere Erinnerung und die Würde der Opfer, sondern macht das Leid von Millionen von Menschen wieder unsichtbar. Was die Stadt Köln damit sagen möchte, ist eigentlich ganz eindeutig. Dieser Schmerz betrifft Köln nicht, und das ist eine ziemliche Phrase in einer Stadt, in der Kolonialisten und Massenmörder auf ihren Sockeln ganz ungeniert und unreflektiert die Tore der Stadt bewachen.

Das Mahnmal ist nicht nur ein Denkmal aus Stahl, es ist ein symbolischer Ort, der das Leid und die Tragödie eben auch meiner eigenen Vorfahren verkörpert. Es ist ein Ort des Gedenkens, der Mahnung und des Lernens für die Nachfahren der Ermordeten, aber auch für die Nachfahren der Täter*innen und der Mittäter*innen. Denn auch vererbte Schuld produziert Leid, das zum Ausdruck gebracht werden darf und das auch verarbeitet gehört. Und wo könnte ein solcher Prozess besser beginnen als hier an diesem Ort, der so prominent und mit Bedacht gewählt wurde, um eben das Bewusstsein zu schaffen, das dieser Schmerz uns alle betrifft? Das Abstruse und auch für mich zu Köln passende krasse Verhalten der Stadtverwaltung im Hin und Her über das Verweilen des Mahnmals grenzt nicht nur an Realsatire, sondern es zeigt auch vor allem, worum es hier irgendwie auch geht: um die Deutungshoheit über Erinnerungskultur. Sie ignoriert die Tatsache, dass vor allem die Opfer ein Recht auf ihre Erzählungen haben und diese in die Stadtgestaltung einbringen dürfen. Es ist ein Akt der Entmenschlichung, wenn Stimmen nicht gehört und Schmerz nicht anerkannt wird.

Ich muss innerlich fast aufschreien, wenn ich so Sätze höre wie, „naja, da kann ja auch jeder kommen und sein Mahnmal zur Erinnerung seines Leids ausstellen“. Denn ja, in einer gerechten, aufgeklärten und Kolonialismus selbstkritischen Gesellschaft sollte diese Forderung überhaupt nichts Entsetzliches sein, sondern selbstverständlich und willkommen. Also das, was wir hier erleben, ist in der Konsequenz auch das Absprechen des Rechts von Nachbarländern, von Überlebenden, ihre Geschichten zu erzählen und die Erinnerung aufrecht zu erhalten. Diese soll einfach wieder zurück ins Private und raus aus dem Stadtbild. Menschlichkeit, Mitgefühl und auch Selbstreflexion der eigenen Rollen gehören aber in die Sichtbarkeit, um sicherzustellen, dass Gräueltaten der Vergangenheit nicht vergessen werden und sich nicht wiederholen. Sich für den Verbleib des Mahnmals einzusetzen, ist also nicht nur ein persönlicher Akt und auch nicht nur für mich, sondern auch einer der Solidarität und des Respekts. Es könnte nämlich auch ein Vorbild dafür sein, dass sich in Köln alle Bevölkerungsgruppen als wertiger Teil der Gesellschaft fühlen dürfen. Und eine Chance dafür, sich für eine Gesellschaft einzusetzen, in der jede Stimme gehört wird und in der sich niemand unsichtbar und vergessen fühlen muss.“

Der Beschluss der Stadtverwaltung, das Mahnmal aus dem Stadtbild zu entfernen, macht das Leid von Millionen von Menschen unsichtbar

Rede von Talin Kalatas, Geschäftsführerin der Naturfreunde Nordrheinwestfalen, auf der Protestveranstaltung am 24. Mai 2023 an der Hohenzollernbrücke:

„Es ist jetzt ziemlich genau vier Wochen her, dass ich hier an dieser Stelle versuchte, Opfern des Genozids an den Armeniern eine Stimme zu geben und darüber sprach, dass es möglich sei, Leid zu teilen, und zwar indem nicht nur die Opfergruppen dieses Leid tragen müssen. Und dass eben dieses Mahnmal ein Schritt sei, um aus machtlosen und passiven Opfern Überlebende zu machen, Menschen mit Stimmen und Geschichten, Menschen mit Wert. Das, was wir durch die Stadtverwaltung erleben, ist das genaue Gegenteil davon, Menschen Wert zuzugestehen und ihr Leid mitzutragen. Mir als Aktivistin für eine gerechte Gesellschaft, aber auch als Nachfahrin von Überlebenden bricht es das Herz, dass das Mal abgebaut werden soll. Der Beschluss der Stadtverwaltung, das Mahnmal aus dem Stadtbild zu entfernen, missachtet damit nicht nur unsere Erinnerung und die Würde der Opfer, sondern macht das Leid von Millionen von Menschen wieder unsichtbar. Was die Stadt Köln damit sagen möchte, ist eigentlich ganz eindeutig. Dieser Schmerz betrifft Köln nicht, und das ist eine ziemliche Phrase in einer Stadt, in der Kolonialisten und Massenmörder auf ihren Sockeln ganz ungeniert und unreflektiert die Tore der Stadt bewachen.

Das Mahnmal ist nicht nur ein Denkmal aus Stahl, es ist ein symbolischer Ort, der das Leid und die Tragödie eben auch meiner eigenen Vorfahren verkörpert. Es ist ein Ort des Gedenkens, der Mahnung und des Lernens für die Nachfahren der Ermordeten, aber auch für die Nachfahren der Täter*innen und der Mittäter*innen. Denn auch vererbte Schuld produziert Leid, das zum Ausdruck gebracht werden darf und das auch verarbeitet gehört. Und wo könnte ein solcher Prozess besser beginnen als hier an diesem Ort, der so prominent und mit Bedacht gewählt wurde, um eben das Bewusstsein zu schaffen, das dieser Schmerz uns alle betrifft? Das Abstruse und auch für mich zu Köln passende krasse Verhalten der Stadtverwaltung im Hin und Her über das Verweilen des Mahnmals grenzt nicht nur an Realsatire, sondern es zeigt auch vor allem, worum es hier irgendwie auch geht: um die Deutungshoheit über Erinnerungskultur. Sie ignoriert die Tatsache, dass vor allem die Opfer ein Recht auf ihre Erzählungen haben und diese in die Stadtgestaltung einbringen dürfen. Es ist ein Akt der Entmenschlichung, wenn Stimmen nicht gehört und Schmerz nicht anerkannt wird.

Ich muss innerlich fast aufschreien, wenn ich so Sätze höre wie, „naja, da kann ja auch jeder kommen und sein Mahnmal zur Erinnerung seines Leids ausstellen“. Denn ja, in einer gerechten, aufgeklärten und Kolonialismus selbstkritischen Gesellschaft sollte diese Forderung überhaupt nichts Entsetzliches sein, sondern selbstverständlich und willkommen. Also das, was wir hier erleben, ist in der Konsequenz auch das Absprechen des Rechts von Nachbarländern, von Überlebenden, ihre Geschichten zu erzählen und die Erinnerung aufrecht zu erhalten. Diese soll einfach wieder zurück ins Private und raus aus dem Stadtbild. Menschlichkeit, Mitgefühl und auch Selbstreflexion der eigenen Rollen gehören aber in die Sichtbarkeit, um sicherzustellen, dass Gräueltaten der Vergangenheit nicht vergessen werden und sich nicht wiederholen. Sich für den Verbleib des Mahnmals einzusetzen, ist also nicht nur ein persönlicher Akt und auch nicht nur für mich, sondern auch einer der Solidarität und des Respekts. Es könnte nämlich auch ein Vorbild dafür sein, dass sich in Köln alle Bevölkerungsgruppen als wertiger Teil der Gesellschaft fühlen dürfen. Und eine Chance dafür, sich für eine Gesellschaft einzusetzen, in der jede Stimme gehört wird und in der sich niemand unsichtbar und vergessen fühlen muss.“