Matinee „Dieser Schmerz betrifft uns alle. Völkermorde erinnern, Kriege verhindern“
(Albrecht Kieser, Moderator)
Warum haben wir hierher eingeladen? Weil wir uns Sorgen machen. Weil wir den Eindruck haben, dass Deutschland an einer Scheidelinie steht.
Rassismus und Nationalismus werden wieder in beängstigendem Maße hoffähig. Große Teile der etablierten Politik lassen sich von der rechtsradikalen AfD antreiben und wenn Seehofer sich zum Vorkämpfer gegen Muslime in Deutschland stilisiert, dann ist das nur die Spitze des Eisberges.
Rassismus und Nationalismus sind Geisseln der Menschheit, Peitschen also, Plagen. Wir erleben auch in anderen Ländern täglich, wie diese Geisseln zielbewusst eingesetzt werden: Zur Stabilisierung maroder Herrschaftsapparate wie in den Vereinigten Staaten des Donald Trump, zur Rechtfertigung imperialer Kriegsmaßnahmen wie in Erdogans Reich oder zur Legitimierung flüchtlingsfeindlicher Innenpolitik, nicht nur von Ungarns Orban.
Sondern eben auch in Deutschland. Die Ihnen wahrscheinlich bekannte „Gemeinsame Erklärung 2018“ aus dem rechten bis rechtsradikalen Milieu sammelt hinter zwei Sätzen Leute wie Henryk M. Broder, Uwe Tellkamp, Thilo Sarrazin, Bassam Tibi oder Vera Lengsfeld und gut 100.000 weitere Unterzeichnerinnen und Unterzeichner.
Diese Leute wollen mit ihren zwei Sätzen einen Sturm entfachen, der hinweg fegen soll, was ihnen nicht passt: Flüchtlinge. Die Sätze lauten: „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“
Nichts davon stimmt. Im Gegenteil: Die deutschen Grenzen sind spätestens seit dem Herbst 2015 wieder mörderisch dicht. Illegale Masseneinwanderung findet in keiner Weise statt, nicht einmal legale gibt es noch. Und beschädigt wurde im Sommer 2015 bestenfalls die Illusion, Deutschland sei unschuldig an den Ursachen weltweiter Migration und könne sich in ein nationales Wolkenkuckucksheim davon stehlen.
Die zwei Sätze der „Erklärung 2018“ offenbaren die Kernmethode von Rassisten und Nationalisten: die Realität durch verbale Pyrotechnik vernebeln und die Geschichte der grausigen Folgen ihrer altbackenen politischen Vorschläge mit denselben Mitteln unkenntlich machen.
Als wir die Matinee konzipiert haben, lag diese Erklärung noch nicht vor. Und obwohl sie sich scheinbar einem anderen Thema widmet als dem unsrigen, ist der Zusammenhang doch offensichtlich. Dieselben Kreise, die diese Erklärung produziert haben, fordern – Zitat – „eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ und verlangen ein Ende des von ihnen so genannten „Schuld-Kultes“.
Was wirklich Angst macht: das ideologische Zusammenspiel von Rassisten, Nationalisten und Geschichtsleugnern ist nicht auf rechtsradikale Kreise beschränkt. Im niedersächsischen Bergen hat der Stadtrat ein jahrelang vorbereitetes Kooperationsprojekt mit der Gedenkstätte Bergen-Belsen im November 2017 mit den Stimmen von CDU und Grünen abgelehnt. Der Geschäftsführer des Stiftungsrates der Stiftungen Niedersächsischer Gedenkstätten Jens-Christian Wagner sagt dazu, ich zitierte: „Die Stadträte…waren mehrheitlich recht jung. Keiner von ihnen leugnet die NS-Verbrechen. Trotzdem hat sich etwas verschoben: Das Bewusstsein, dass die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen grundlegend ist für unser demokratisches Selbstverständnis; dieses Bewusstsein und damit das Gefühl der Verantwortung schwinden – weit über die AfD hinaus.“
Wer zurück will zu einem starken völkischen Staat, muss nicht nur alles „Volksfremde“ ausmerzen. Er muss auch die Geschichte seines Staates von dessen offensichtlichen Verbrechen reinigen. Der Historiker Volker Weiß sagte dazu kürzlich: „Die eigene Nationalgeschichte soll als glorreiche Geschichte ohne Makel und ohne Schatten erinnert werden.“
Zu den grausamsten staatlichen Verbrechen Deutschlands gehören die Genozide an seinen vermeintlichen, tatsächlichen oder erklärten Gegnern. Deshalb wollen völkische Nationalisten die Genozide, die unter deutscher Führung oder deutscher Mithilfe verübt wurden, aus der lebendigen Erinnerung herausdrängen.
Wir wollen das Gegenteil.
Wir wollen eine staatskritische Erinnerungskultur erhalten und ausweiten. Auch weil wir glauben, dass das Wissen über die Geschichte der genozidalen Folgen von Rassismus und Nationalismus hilft, rassistische Ausgrenzungen in der Gegenwart besser zu erkennen und sie zu bekämpfen und nationalistische Mobilmachungen für Kriege zu behindern.