Im Anschluss an eine Matinee „Völkermorde erinnern, Kriege verhindern“ am 15. April 2018 in Köln haben die Initiative „Völkermord erinnern“ und Besucherinnen und Besucher ein Mahnmal enthüllt. Es erinnert nicht nur an den Genozid an den Armeniern in den Jahren 1915-1918, sondern auch an die deutsche Beteiligung daran und fordert grundsätzlich dazu auf, Rassismus und Nationalismus als Ursachen von Völkermorden zu ächten.
Das Mahnmal ist an der linksrheinischen Seite der Hohenzollernbrücke errichtet worden, gegenüber dem Reiterstandbild von Kaiser Wilhelm II., Verantwortlicher für den Völkermord an den OvaHerero und Nama 1904 und Unterstützer des Genozids an den Armeniern.
Das Genozid-Mahnmal wurde von der Stadt Köln am 19. April 2018 abgerissen. Es habe an einer Genehmigung gefehlt. Die Stadt hat in ihrem Schriftsatz gegenüber dem Verwaltungsgericht Köln, das wir angerufen hatten, außerdem argumentiert, das Mahnmal müsse noch vor dem 24. April, dem internationalen Gedenktag an den Genozid, beseitigt werden, weil sonst die Gefahr bestehe, dass sich „zahlreiche Gegendemonstranten einfinden“ und „die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs an dieser Stelle zeitnah stark beeinträchtigt“ sei. „Angesichts der Vielzahl türkischer Mitbürger in Köln“ sei auch schon 2017, bei der Erlaubnis für den Kreuzstein der armenischen Gemeinde „auf eine Aufstellung im öffentlichen Straßenland aufgrund des hohen Konfliktpotentials bewusst verzichtet worden“. Das Verwaltungsgericht Köln hat die sofortige Entfernung des Genozidmahnmals an der Hohenzollernbrücke nicht beanstandet.
In unserer Antwort beim Verwaltungsgericht hielten wir fest, dass wir diese Argumentation für ein erinnerungspolitisches Armutszeugnis und ein Ausweichen vor Genozidleugnern halten. Sie widerspricht diametral der Aufforderung des Bundestags, der in seiner Resolution vom 2. Juni 2016 die Zivilgesellschaft auffordert, das Gedenken an den armenischen Genozid zu thematisieren.
Zahlreiche Organisationen und Prominente haben sich mittlerweile als PatInnen und UnterstützerInnen für das Mahnmal und für seine Wiedererrichtung ausgesprochen.
Wir richten unsere Anstrengungen weiterhin darauf, möglichst viele zivilgesellschaftliche Kräfte in dem Bemühen zu vereinen, die Stadt Köln solle das Genozid-Mahnmal wieder aufstellen.
Das Mahnmal muss an seinen Platz zurück!
L’initiative « Rappeler le Génocide » ainsi que les visiteurs ont inauguré le 15 avril 2018 à Cologne un monument à la suite d’une matinée sur le thème « Rappeler le génocide, Empêcher les guerres ». Il rappelle non seulement le génocide commis dans les années 1915 – 1918 aux Arméniens mais également la participation allemande et exige de proscrire le racisme et le nationalisme comme la cause des génocides.
Le monument a été érigé sur le bord gauche du pont sur le Rhin, le« Hohenzollernbrücke » en face de la statue du Kaiser Wilhelm II, responsable du génocide des OvaroHerero et Nama en 1904 et soutien du génocide des Arméniens.
Le Monument a été enlevé par la ville de Cologne le 19 avril 2018, pour manque d’autorisation préalable. La ville de Cologne a également argumenté, dans le cadre d’une procédure devant le tribunal administratif de Cologne entamée par nous, que le monument devrait être enlevé avant le 24 avril 2018, jour de la commémoration internationale du génocide aux Arméniens, afin d’éviter « le rassemblement de nombreux contre-manifestants » présentant un fort risque pour « la sécurité et la facilité du trafic à cet endroit ». Au vu de la présence de nombreux citoyens turcs à Cologne, la ville aurait déjà en 2017, lors de la mise en place du « Kreuzstein » de la communauté arménienne, refusé expressément une permission de la mise en place dans le domaine public à cause du potentiel de conflit élevé.
Le tribunal administratif de Cologne n’a pas contesté l’enlèvement immédiat du monument du génocide près de la «Hohenzollernbrücke».
Dans notre réponse au tribunal administratif nous avons souligné que nous jugeons cette argumentation comme insulte à une politique de mémorisation et un recul devant ceux qui nient le génocide. Elle contredit diamétralement la demande du Bundestag qui dans sa résolution du 2 juin 2016 demande à la société civile de thématiser la mémoire du génocide aux Arméniens.
Un grand nombre d’organisations et de personnes importantes de la vie culturelle et intellectuelle se sont déclarées parrain ou soutien pour le monument et sa réinstallation.
Nos efforts continuent afin qu’un grand nombre de personnes de la vie civile se réunisse pour exiger de la ville de Cologne la réinstallation du monument du génocide.
LE MONUMENT DOIT RETOURNER A SA PLACE!
Nizaqete Bislimi: Rede im Zuge der Matinee „Völkermorde erinnern – Kriege verhindern“
Rede „Gegen ein leeres Erinnern“ von Nizaqete Bislimi auf der Matinee „Völkermorde erinnern – Kriege verhindern“ am 15.4 2018 im Filmforum NRW im Museum Ludwig
Mein Ur-Großvater hat gegen die Nazis gekämpft. Ich erfuhr davon erst vor kurzem, während der Arbeit an meinem Buch. Bis dahin dachte ich, ich hätte keinen persönlichen Bezug. Meine Mutter erzählte mir während meiner Recherchen, dass ihr Großvater in Jugoslawien gegen die Nazis kämpfte und auch gefallen ist. Also mein Ur-Großvater. Meine Mutter ist in den 50er Jahren geboren, hat diesen Großvater also nicht kennengelernt.
In der Schule lernte ich sehr wenig über den Genozid. In den Geschichtsbüchern wird mit einem Halbsatz erwähnt, das Roma und Sinti ermordet worden. Ich setzte mich also sehr spät erst mit dem Thema auseinander.
Als meine Mutter davon erzählte, war das ein trauriges Gefühl, weil sie nicht und ich auch nicht die Möglichkeit hatten, diesen Menschen kennen zu lernen.
Aber es war auch berührend zu erfahren, dass dieser Mann gegen die Nazis gekämpft hat.
Oft liest man nur von den Opfern, die es gegeben hat. Mein Urgroßvater hat sein Leben gelassen, weil er gekämpft hat, gegen die Nazis. Das war schon sehr berührend.
Die Roma nennen den Genozid Porajmos, was auf deutsch so viel wie »Verschlingen« bedeutet. Wieviele Menschen das betraf und wieviele in nachfolgenden Generationen heute noch betroffen sind, ist unzureichend erforscht. Es wird angenommen, dass 500.000 Menschen ermordet wurden. Diese Zahl ist wie so viele Zahlen in der Politik bis heute umstritten.
Soziale Ausgrenzung, rassistische Diskriminierungen aber auch die zahlreichen und europaweit stattfindenden Vertreibungen, Abschiebungen und sogar Morde an Roma sind keine von einander unabhängigen Einzelereignisse. Sie stehen im Zusammenhang mit einem allgegenwärtigen feindlichen und abwertenden gesellschaftlichen Vorbehalt.
Die Verfolgung durch die Mehrheitsgesellschaft war eine Konstante. Lange vor dem Porajmos. Und auch danach. Mit vielen Abstufungen und Ausprägungen.
In den 50er und 60er Jahren haben die Menschen weitergemacht, die an der Selektion beteiligt waren. Es gab nach wie vor Nazis.
Vielen überlebenden Sinti und ihren Angehörigen wurde kurz nach der Befreiung und nach der Rückkehr aus den Lagern die zuvor aberkannte deutsche Staatsbürgerschaft wieder gegeben. Doch das wurde Anfang der 50er Jahre erneuten Prüfungen unterzogen. Zu großzügig sei man in der Vergabe von Pässen an Überlebende gewesen, fanden die Behörden nun. Dieser rassistische Geiz wirkte auch auf die Praxis der Entschädigungen.
Es dauerte Jahre, bis es zu Entschädigungszahlungen kam. Nach dem Krieg wurden Sinti und Roma von der Bundesrepublik nicht entschädigt, da die Tötungen nicht als Völkermord anerkannt wurden.
Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, hatte anlässlich eines Besuchs beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe im Herbst 2014 darauf hingewiesen, dass sich das Hohe Gericht nach all den Jahren noch immer nicht von diffamierenden Formulierungen eines BGH-Urteils aus dem Jahr 1956 distanziert hatte. Damals hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass Sinti und Roma bis 1943 nicht aus rassistischen Gründen verfolgt worden seien. Die Richter hatten damals argumentiert Sinti und Roma seien nicht aus rassistisch motivierten Gründen von den Nationalsozialisten verfolgt worden, sondern diese Handlungen hätten „polizeiliche Gründe gehabt“. Dies hatte neben der tiefen Beleidigung der Opfer außerdem die Konsequenz, dass an die Überlebenden keine Entschädigungen gezahlt werden mussten. 1963 wurde dieses Urteil revidiert. Erst der Besuch Romani Roses beim Bundesgerichtshof über 50 Jahre später bewirkte eine offizielle Distanzierung dazu.
Im Rahmen eines Besuches in Heidelberg besuchte ich die die Dauerausstellung des Dokumentationszentrums. Die Ausstellung gegen das Vergessen hat mich sehr beeindruckt. Sie ist das Ergebnis einer jahrelangen Bürgerrechtsbewegung.
Der rassistisch motivierte Porajmos wurde erst 1982 durch Bundeskanzler Helmut Schmidt anerkannt. Ausgedacht hatte er sich das nicht selbst, das war kein Geschenk. Die Roma Bürgerrechtsbewegung bestand seit Anfang der 70er Jahre auf ihre Rechte.
In den 60er und 70er Jahren waren viele Roma unter den sogenannten Gastarbeitern. Die sich aber als solche aus Angst vor Ausgrenzung und Diskriminierung nicht zu erkennen gegeben haben. Dieses Verstecken – die Unsichtbarkeit – gibt es bis heute.
Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien ab 1993 vertrieben viele Roma nach Westeuropa und auch nach Deutschland.
Kurzfristiger Schutz wurde zumeist über Erlasse und Duldungen geregelt. Duldung bedeutet aber nichts anderes als Aussetzung der Abschiebung,. Eine längerfristige Aufenthaltsperspektive war nicht vorgesehen.
Kaum waren die Kriege vorbei, sollten die geflüchteten Roma abgeschoben werden. Dagegen wehrten sie sich. Und tun es heute noch.
Ob 1991 oder 2002 in Düsseldorf. Oder 2015 in Berlin am Mahnmal.
Diese Kämpfe führten nicht zum Bleiberecht. Doch sie sind als Erinnerung ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben.
Seit 2012 gibt es in Berlin ein Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas. Es wurde in einem langen und schwierigen Prozess erkämpft. Es war für mich nicht glaubwürdig, als Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede zur Einweihung des Mahnmals der im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti gedachte. Denn wenige Zeit später löste ihr damaliger Bundesinnenminister Friedrich mit einem großen Interview in einer Zeitung erneut die Debatte über Asylmissbrauch von Roma aus.
Ich spreche mich gegen ein leeres Erinnern und ein kaltes Vergessen aus.
Das war der Grundstein für die Konstruktion der sicheren Herkunftsstaaten Serbien, Mazedonien, Bosnien Herzegowina, Montenegro, Albanien und Kosovo.
Seit der Entscheidung für das Gesetz zu den sicheren Herkunftsstaaten sind monatlich hunderte Roma mit Sammelabschiebungen aus Deutschland bedroht und tatsächlich abgeschoben worden. Die nächsten Abschiebungen stehen fest.
Die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im sicheren Herkunftsstaat Kosovo ist für mich ein unauflösbarer Widerspruch. Es zeigt sich ein unmäßiger Wille zur Ignoranz.
Ignoriert wird die Menschenrechtssituation vor Ort. Als Argument verwendbar ist dagegen die hohe Ablehnungsquote in den Asylverfahren, die man selbst produziert hat.
Folge der Einstufung als sichere Herkunftsstaaten sind Schnellverfahren und Unterbringung in Sondereinrichtungen – auf Verladebahnhöfen, im Wald.
Die zynische Prognose einer geringen Bleibeperspektive, der in Paragraphen gegossene Rassismus gegen Roma isoliert Menschen.
Die Not vieler südosteuropäischer Roma ist riesengroß. Das schmerzt.
Heute flüchten manche nach Deutschland. Nach jeder Abschiebung. Erneut. Immer. Wieder. Also nicht neu – sondern eine alte Geschichte: Familienleben in andauernder Migration. Dieses weitestgehend ignorierte Phänomen umfasst und überschattet Generationen, zerreißt Familien. Ihre Geschichte mit Deutschland ist historisch gewachsen. Die Verantwortung des bundesdeutschen Staates ist vielfach. Kein Rückübernahmeabkommen kann an diesem moralischen Fakt etwas ändern.
Alle Roma sind Nachkommen der Opfer des Nationalsozialismus. Unter den Abgeschobenen sind die Nachkommen der Opfer der im Nationalsozialismus ermordeten R und S in der zweiten und dritten Generation.
Wir sprechen uns gegen ein leeres Erinnern und ein kaltes Vergessen aus.
Und wie sieht es in der Realität aus? Die Proteste sind leise. Die Abschiebemaschinerie läuft. Ohne Rücksicht auf Verluste. Ohne Rücksicht auf kranke oder traumatisierte Menschen. Kinder werden aus den Schulen geholt in Flugzeuge gepackt.
Was die Statistik schön macht: die freiwillige Rückreise. Doch Menschen mit Abschiebung zu drohen, wenn sie nicht selbstständig ausreisen, hat mit Freiwilligkeit nichts zu tun!
Für uns Erinnern heißt Abschiebungen zu verhindern.
Proteste, Kundgebungen, Demonstrationen, Gedenkveranstaltungen zu organisieren. Unser Wissen zu archivieren. Unsere Geschichte zu schreiben und unsere Rechte zu fordern.
Wir setzen uns ein für das Recht auf ein sicheres Leben für Roma, aber auch andere Minderheiten, die rassistisch aussortiert werden.
Geht diesen Weg mit uns gemeinsam!
Vielen Dank!!
Das Schicksal der europäischen Roma und Sinti während des Holocaust
Rund 500.000 Roma und Sinti wurden während des Holocaust ermordet als Opfer einer rassistischen Verfolgungspolitik deutscher Nazis und ihrer faschistischen Verbündeten. Doch dieser Völkermord ist heute weitgehend unbekannt. Roma und Sinti wurden in Vernichtungslagern getötet und fielen in Zwangsarbeits- und Konzentrationslagern Hunger und Krankheiten zum Opfer. Viele wurden deportiert und als Zwangsarbeiter ausgebeutet, auf Bauernhöfen, auf Baustellen und in der Industrie. Die Überlebenden wurden jahrzehntelang nicht als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung anerkannt und erhielten nur geringe oder überhaupt keine Entschädigungszahlungen für ihren verlorenen Besitz. Die Homepage bietet grundlegende Informationen für SchülerInnen / LehrerInnen über den Völkermord an den europäischen Sinti und Roma.
Website: www.romasintigenocide.eu
Doğan Akhanlı: »Heute wollen wir ein Gedicht schreiben«
»Heute wollen wir ein Gedicht schreiben«
Dogan Akhanli
Wenn ich nicht nach Deutschland eingewandert wäre, hätte ich mir wahrscheinlich niemals die Verbindung zwischen eigener Vergangenheit, eigenen Erinnerungen und der Vergangenheit, den Erinnerungen der Kurden, Armenier, Aleviten, Juden und Griechen ins Bewusstsein rücken können. Die Verbindungen und die Unterschiede. Ich hätte weiterhin dem Mythos der Gründung der Türkischen Republik Glauben geschenkt und hätte gezögert, das Massaker an den Armenier als Völkermord zu bezeichnen.
Als ich nach Deutschland kam, hatte ich nicht ein einziges Buch über den Genozid von 1915 gelesen, das nicht auf Lügen basierte. Das Land, in das ich einwanderte, und mein Geburtsland, Deutschland und die Türkei, hatten seit Jahrhunderten freundschaftliche Beziehungen unterhalten. Und die Vergangenheit beider Länder war voller Traumata. Doch trotz der jeweiligen historischen Schuld gab es grundsätzliche Unterschiede zwischen beiden Ländern. Während die Vergangenheitsbewältigung und die Erinnerungsarbeit in Bezug auf die eigene historische Schuld und Verantwortung das zweite, das schöne Gesicht Deutschlands war, beharrte die Türkei nach wie vor darauf, einen der beiden bestuntersuchten, bestdokumentierten Völkermorde dieser Erde, den an den Armeniern, für den sie Verantwortung trug, zu leugnen, und weigerte sich beharrlich, sich diesem historischen Unrecht zu stellen.
Erstmals 1999 wurde, in der Kölner Aufarbeitungsgeschichte, eine Veranstaltungsreihe „Genozid und Gedenken“ zum Thema Völkermord an den Armeniern organisiert. Jeder von uns, die aus der Türkei stammten, kannte mindestens eine Geschichte über Gräueltaten an den Armeniern, hatte sie schon als Kind oder später als junger Mensch oder noch später als Erwachsener gehört. Aber egal ob man Linksradikaler war, Nationalist oder frommer Muslim: es existierte damals eine unausgesprochene Übereinkunft, die für alle galt: Ignorieren, Schweigen, Leugnen, sobald die Vernichtung der Armenier von 1915-1916 zur Sprache kommt. Die Nationalisten und Ultrarechtnationalisten wollten diese Auseinandersetzung torpedieren, indem sie Veranstaltungen zu sprengen versuchten. Doch es gelang ihnen nicht.
Nach der Veranstaltungsreihe „Genozid und Gedenken“ wurde die Idee geboren, im ehemaligen Kölner Gestapogefängnis, dem heutigen NS- Dokumentationszentrum der Stadt, regelmäßig türkischsprachige Führungen anzubieten. In den Führungen wurden Antworten auf Fragen gesucht wie diese: Ist die Holocaust nur eine jüdisch-deutsche Geschichte oder/und auch eine transnationale Geschichte? Ist der Völkermord an den Armeniern für Deutschland eine „fremde“ Geschichte? In der Ausstellung des NS-Dokumentationszentrums gibt es Dokumente, die zeigen, wie sehr die Geschichte des Holocaust auch eine deutsch-türkische ist. Über Salomon Freud zum Beispiel. Er wurde am 24. September 1884 in Konstantinopel geboren und besaß die türkische Staatsangehörigkeit, ebenso wie seine Frau Hedwig und sein Sohn Alfred. Die Familie Freud siedelte nach Deutschland über und wohnte bis 1939 in Köln. Hedwig, Salomon und Alfred Freud wurden am 3. September 1942 zuerst nach Theresienstadt und dann nach Auschwitz deportiert und gelten als „verschollen.“ Ihr Schicksal ist kein Einzelfall. Während der Shoah wurden über 3.000 türkische Bürger in Europa ermordet (Guttstadt 2008).
Ein Exponat in der Dauerausstellung in Köln erzählt uns, dass Adolf Hitler und Franz von Papen am 4. Januar 1933 Gespräche über eine gemeinsame Regierungsbildung in einer Villa führten (Stadtwaldgürtel 35). Franz von Papen war im Ersten Weltkrieg von 1915 bis 1918 Stabschef der 4. Türkischen Armee. Mit dem Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk besuchte er Palästina, ab April 1939 war er Botschafter in Ankara (Gottschlich 2015). Die türkischen Streitkräfte im Ersten Weltkrieg standen weitgehend unter deutschem Oberbefehl. Zum Beispiel unter dem von General Otto Liman von Sanders, der im „Prozess Talaat Pascha“ als Sachverständiger auftrat (Hofmann 1980). Die wahren Täter des Völkermords (unter ihnen Talat, Enver und Cemal Paşa) flohen mithilfe der Deutschen nach Berlin. In dem Jahr, in dem ein junger Mann namens Raphael Lemkin mit dem Jurastudium begann, wurde der Hauptverantwortliche der Armenier-Deportationen, Unterzeichner der Deportationsbefehle, Innenminister und Großwesir Talat Paşa, am 15 März 1921 in der Hardenbergstraße in Berlin von Soghomon Tehlirian erschossen.
Lemkins späterer Kommentar zu diesem Ereignis war: „Der Talat-Paşa-Prozess von 1921 war sehr lehrreich. Ein Mann, dessen Mutter beim Völkermord getötet wurde, Soghomon Tehlirian, tötet Talat Paşa. Sehen Sie, als Rechtsanwalt habe ich gedacht, dass ein Vergehen nicht durch das Opfer, sondern durch ein Gericht, durch nationale Justiz bestraft werden müsste.“ Den Einfluss des Völkermords an den Armeniern auf die Formulierung der Völkermordkonvention beschreibt Lemkin folgendermaßen: „Das Leid der armenischen Männer, Frauen und Kinder, die in den Euphrat geworfen oder auf dem Weg nach Deir ez-Zor massakriert wurden, war der Wegbereiter zur Annahme der ‚Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes‘.“
Raphael Lemkin verlor als schwuler Jurist alle Angehörigen (mit Ausnahme seines Bruders und seiner Schwägerin) im Holocaust. Er starb 1959, völlig verarmt, in New York. Auf seinem Grabstein steht: Father of the Genocide Convention.
In der 256 Seiten umfassenden Urteilsschrift der Nürnberger Prozesse, bei denen die Hauptkriegsverbrecher des Nazi-Regimes vor Gericht gestellt wurden, sind der Vernichtung der europäischen Juden lediglich drei Seiten gewidmet. Der Begriff Völkermord wird in der Anklageschrift dieses Prozesses erstmalig verwendet. Es ist das erste offizielle Dokument, in dem erwähnt wird, dass es sich bei dem Völkermord an den Armeniern um „den ersten Genozid des Jahrhunderts (handelt), bei dem 1,4 Millionen christliche Armenier auf Befehl der türkischen Regierung getötet wurden“.
Trotz der unverzeihlichen Schwächen der Sicherheitsbehörden, die die NSU-Morde sowie ähnliche Übergriffe und Anschläge nicht verhindern konnten, hat die heutige Erinnerungskultur Deutschlands nicht nur für das Land selbst, sondern auch auf internationaler Ebene große Bedeutung. Die NSU-Morde sind gleichzeitig auch eine bittere Warnung, nicht zu vergessen, dass Erinnerungskultur nicht statisch ist, sondern ein Prozess, in dessen Verlauf jede Generation ihre Art, ihre Mittel der Geschichtsaufarbeitung immer wieder überdenken und weiterentwickeln muss.
Die Geschichtsaufarbeitung der Türkei ist eine Erfahrung der Leugnung, die eine wissenschaftliche Untersuchung wert wäre.
“Es giebt andererseits auch sehr wenig Türken,“ schrieb der Korrespondent der „Kölnischen Zeitung“ (Tyszka ) am 15.9.1915, „mit denen man offen über die Armenierfrage reden kann, gleich bricht selbst bei sonst gebildeten und weltgewandten Menschen eine Wut durch, die alles in einen Topf wirft und die immer mit dem Refrain endet: „Alle Armenier gehören ausgerottet, sie sind Verräter!“ [Dokumente aus dem Politischen Archiv des deutschen Auswärtigen Amts / “1915-09-05-DE-001/Quelle: PA-AA/R 14087; A 27887, pr. 24.9.1915 p.m.;]
Der Hass, der immer noch aktuell ist, mit dem in der Türkei nicht-türkischen, nicht-muslimischen Mitbürgern begegnet wird, erinnert an die Worte des israelischen Psychoanalytikers Zvi Rix: Auschwitz werden uns die Deutschen niemals verzeihen! Denn die Juden waren lebende Beweise des Geschehenen, die die Deutschen ständig an ihre Schuld erinnerten. Mit hoher Sensibilität wurde Verantwortung übernommen, wurden wichtige Maßnahmen ergriffen, Mittel und Wege zur Wiedergutmachung zu finden und auf Opfer und Überlebende des Holocausts zuzugehen. Währenddessen beharren diejenigen, die die türkische Identität überbewerten, seit hundert Jahren darauf, den Armeniern das Konzentrationslager Deir ez-Zor, das 1915/16 in der syrischen Wüste eingerichtet war, niemals zu verzeihen. Diese Herzensblindheit, vermengt mit dem Schlamm aus Leugnung und Lügen, produziert Mörder. Weil die größte Schuld unserer modernen Geschichte nicht aufgearbeitet wurde, weil kein Weg gefunden wurde, mit der Schuld umzugehen, bleiben nicht nur der Staat mit seinen Institutionen, sondern auch die Gesellschaft zu Gewalt und Mord verdammt. Vor unsert Augen wurde Hrant Dink erschossen, wurde der Mörder als Held gefeiert, ließen sich Polizisten mit ihm neben der türkischen Flagge fotografieren, feierten sie den Mord mit dem Absingen der Nationalhymne. In Malatya wurden Mitarbeiter einer Bibel-Druckerei abgeschlachtet, in Trabzon wurde ein italienischer Mönch ermordet. Selbst nach dem Tod von 50 000 Menschen wurden den Kurden die grundlegendsten Rechte vorenthalten. Die Wüste von Deir ez-Zor hörte nach einem Jahrhundert nicht auf, Menschen, nun auch andere Ethnien, zu schlucken.
Es war politisch und moralisch nicht hinnehmbar, dass Deutschland, trotz der Erfahrung der Geschichtsaufarbeitung, die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern bis ins Jahr 2016 hinausgezögert hat.
Es ist soweit.
Den Holocaust in Verbindung mit dem Völkermord an den Armeniern zu betrachten, bedeutete heute keine Relativierung der Schoah, sondern eine Erweiterung und Vertiefung der deutschen Aufarbeitung, die aber nicht mehr nur deutsch bleiben sollte. Denn die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts, des Jahrhunderts der Völkermorde, sollte Teil der Holocaust Education sein, und die Beschäftigung damit sollte aus dem nationalen Rahmen in einen transnationalen übertragen werden. Auschwitz verwandelte den Versuch, weiterhin Gedichte zu schreiben, zwar in Barbarei (wie Adorno sagte), aber der einzige Weg, die Existenz von Auschwitz zu ertragen und sich zur Wehr zu setzten, besteht darin, trotz Auschwitz Gedichte zu schreiben.
Und heute wollen wir ein Gedicht schreiben. Das ist der Sinn der Veranstaltung.
Über den Sinn der Matinee „Dieser Schmerz betrifft uns alle“
Matinee „Dieser Schmerz betrifft uns alle. Völkermorde erinnern, Kriege verhindern“
(Albrecht Kieser, Moderator)
Warum haben wir hierher eingeladen? Weil wir uns Sorgen machen. Weil wir den Eindruck haben, dass Deutschland an einer Scheidelinie steht.
Rassismus und Nationalismus werden wieder in beängstigendem Maße hoffähig. Große Teile der etablierten Politik lassen sich von der rechtsradikalen AfD antreiben und wenn Seehofer sich zum Vorkämpfer gegen Muslime in Deutschland stilisiert, dann ist das nur die Spitze des Eisberges.
Rassismus und Nationalismus sind Geisseln der Menschheit, Peitschen also, Plagen. Wir erleben auch in anderen Ländern täglich, wie diese Geisseln zielbewusst eingesetzt werden: Zur Stabilisierung maroder Herrschaftsapparate wie in den Vereinigten Staaten des Donald Trump, zur Rechtfertigung imperialer Kriegsmaßnahmen wie in Erdogans Reich oder zur Legitimierung flüchtlingsfeindlicher Innenpolitik, nicht nur von Ungarns Orban.
Sondern eben auch in Deutschland. Die Ihnen wahrscheinlich bekannte „Gemeinsame Erklärung 2018“ aus dem rechten bis rechtsradikalen Milieu sammelt hinter zwei Sätzen Leute wie Henryk M. Broder, Uwe Tellkamp, Thilo Sarrazin, Bassam Tibi oder Vera Lengsfeld und gut 100.000 weitere Unterzeichnerinnen und Unterzeichner.
Diese Leute wollen mit ihren zwei Sätzen einen Sturm entfachen, der hinweg fegen soll, was ihnen nicht passt: Flüchtlinge. Die Sätze lauten: „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“
Nichts davon stimmt. Im Gegenteil: Die deutschen Grenzen sind spätestens seit dem Herbst 2015 wieder mörderisch dicht. Illegale Masseneinwanderung findet in keiner Weise statt, nicht einmal legale gibt es noch. Und beschädigt wurde im Sommer 2015 bestenfalls die Illusion, Deutschland sei unschuldig an den Ursachen weltweiter Migration und könne sich in ein nationales Wolkenkuckucksheim davon stehlen.
Die zwei Sätze der „Erklärung 2018“ offenbaren die Kernmethode von Rassisten und Nationalisten: die Realität durch verbale Pyrotechnik vernebeln und die Geschichte der grausigen Folgen ihrer altbackenen politischen Vorschläge mit denselben Mitteln unkenntlich machen.
Als wir die Matinee konzipiert haben, lag diese Erklärung noch nicht vor. Und obwohl sie sich scheinbar einem anderen Thema widmet als dem unsrigen, ist der Zusammenhang doch offensichtlich. Dieselben Kreise, die diese Erklärung produziert haben, fordern – Zitat – „eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ und verlangen ein Ende des von ihnen so genannten „Schuld-Kultes“.
Was wirklich Angst macht: das ideologische Zusammenspiel von Rassisten, Nationalisten und Geschichtsleugnern ist nicht auf rechtsradikale Kreise beschränkt. Im niedersächsischen Bergen hat der Stadtrat ein jahrelang vorbereitetes Kooperationsprojekt mit der Gedenkstätte Bergen-Belsen im November 2017 mit den Stimmen von CDU und Grünen abgelehnt. Der Geschäftsführer des Stiftungsrates der Stiftungen Niedersächsischer Gedenkstätten Jens-Christian Wagner sagt dazu, ich zitierte: „Die Stadträte…waren mehrheitlich recht jung. Keiner von ihnen leugnet die NS-Verbrechen. Trotzdem hat sich etwas verschoben: Das Bewusstsein, dass die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen grundlegend ist für unser demokratisches Selbstverständnis; dieses Bewusstsein und damit das Gefühl der Verantwortung schwinden – weit über die AfD hinaus.“
Wer zurück will zu einem starken völkischen Staat, muss nicht nur alles „Volksfremde“ ausmerzen. Er muss auch die Geschichte seines Staates von dessen offensichtlichen Verbrechen reinigen. Der Historiker Volker Weiß sagte dazu kürzlich: „Die eigene Nationalgeschichte soll als glorreiche Geschichte ohne Makel und ohne Schatten erinnert werden.“
Zu den grausamsten staatlichen Verbrechen Deutschlands gehören die Genozide an seinen vermeintlichen, tatsächlichen oder erklärten Gegnern. Deshalb wollen völkische Nationalisten die Genozide, die unter deutscher Führung oder deutscher Mithilfe verübt wurden, aus der lebendigen Erinnerung herausdrängen.
Wir wollen das Gegenteil.
Wir wollen eine staatskritische Erinnerungskultur erhalten und ausweiten. Auch weil wir glauben, dass das Wissen über die Geschichte der genozidalen Folgen von Rassismus und Nationalismus hilft, rassistische Ausgrenzungen in der Gegenwart besser zu erkennen und sie zu bekämpfen und nationalistische Mobilmachungen für Kriege zu behindern.
Presseerklärung: „Dieser Schmerz betrifft uns alle – Völkermorde erinnern, Kriege verhindern“
Matinee „Dieser Schmerz betrifft uns alle. Völkermorde erinnern, Kriege verhindern“
15. April 2018, 11.00 Uhr, Filmforum NRW, Köln
Alte und neue Nationalisten betreiben mit großer Energie eine erinnerungspolitische Wende, um das Gedenken an deutsche Menschheitsverbrechen zu löschen.
Die Veranstaltung „Völkermorde erinnern – Kriege verhindern“ am 15.4. um 11 Uhr im Filmforum NRW Köln (Museum Ludwig) stellt sich gegen die Rückkehr zu verlogenen Geschichtsbildern.
Denn wo heute in Europa die staatskritische Erinnerungskultur ins Abseits gedrängt wird, blüht der aggressive und völkische Nationalismus auf.
Wir sprechen auf dieser Veranstaltung vom Wert und von der Unverzichtbarkeit einer kritischen Erinnerung an die genozidalen Folgen von Rassismus und Nationalismus, weil wir auch für gegenwärtiges staatliches Unrecht wach und mit dessen heutigen Opfern empathisch bleiben wollen.
Auf der Matinee werden Filmausschnitte von Aghet (Eric Friedler), Skulls of my people (Vincent Moloi) und A people uncounted (Aaron Yeger) gezeigt.
Redebeiträge für das Erinnern und gegen das Verschweigen halten Israel Kaunatjike (Namibia-Aktivist, zum Völkermord an OvaHerero und Nama), Dogan Akhanli (Schriftsteller, zum Völkermord an den Armeniern), Peter Finkelgruen (Schriftsteller und Autor, zur Shoah) und Nizaqete Bislimi (Vorsitzende des BundesRoma-Verband e.V., zum Genozid an den Roma und Sinti).
Musikalisch gerahmt wird die Matinee durch Beiträge des kurdischen Gitarrenduos Meral & Evin.
Veranstalter: Initiative Völkermord Erinnern; recherche international e.V., FilmInitiativ Köln e.V.
Unterstützt von: Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Kulturforum TürkeiDeutschland e.V., Jugendclub Courage e.V., Anerkennung Jetzt!
www.voelkermord-erinnern.de;
Wir bitten freundlich um Berichterstattung.
Das Mahnmal ist an der linksrheinischen Seite der Hohenzollernbrücke errichtet worden, gegenüber dem Reiterstandbild von Kaiser Wilhelm II., Verantwortlicher für den Völkermord an den OvaHerero und Nama 1904 und Unterstützer des Genozids an den Armeniern.
Das Genozid-Mahnmal wurde von der Stadt Köln am 19. April 2018 abgerissen. Es habe an einer Genehmigung gefehlt. Die Stadt hat in ihrem Schriftsatz gegenüber dem Verwaltungsgericht Köln, das wir angerufen hatten, außerdem argumentiert, das Mahnmal müsse noch vor dem 24. April, dem internationalen Gedenktag an den Genozid, beseitigt werden, weil sonst die Gefahr bestehe, dass sich „zahlreiche Gegendemonstranten einfinden“ und „die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs an dieser Stelle zeitnah stark beeinträchtigt“ sei. „Angesichts der Vielzahl türkischer Mitbürger in Köln“ sei auch schon 2017, bei der Erlaubnis für den Kreuzstein der armenischen Gemeinde „auf eine Aufstellung im öffentlichen Straßenland aufgrund des hohen Konfliktpotentials bewusst verzichtet worden“. Das Verwaltungsgericht Köln hat die sofortige Entfernung des Genozidmahnmals an der Hohenzollernbrücke nicht beanstandet.
In unserer Antwort beim Verwaltungsgericht hielten wir fest, dass wir diese Argumentation für ein erinnerungspolitisches Armutszeugnis und ein Ausweichen vor Genozidleugnern halten. Sie widerspricht diametral der Aufforderung des Bundestags, der in seiner Resolution vom 2. Juni 2016 die Zivilgesellschaft auffordert, das Gedenken an den armenischen Genozid zu thematisieren.
Zahlreiche Organisationen und Prominente haben sich mittlerweile als PatInnen und UnterstützerInnen für das Mahnmal und für seine Wiedererrichtung ausgesprochen.
Wir richten unsere Anstrengungen weiterhin darauf, möglichst viele zivilgesellschaftliche Kräfte in dem Bemühen zu vereinen, die Stadt Köln solle das Genozid-Mahnmal wieder aufstellen.
Das Mahnmal muss an seinen Platz zurück!
L’initiative « Rappeler le Génocide » ainsi que les visiteurs ont inauguré le 15 avril 2018 à Cologne un monument à la suite d’une matinée sur le thème « Rappeler le génocide, Empêcher les guerres ». Il rappelle non seulement le génocide commis dans les années 1915 – 1918 aux Arméniens mais également la participation allemande et exige de proscrire le racisme et le nationalisme comme la cause des génocides.
Le monument a été érigé sur le bord gauche du pont sur le Rhin, le« Hohenzollernbrücke » en face de la statue du Kaiser Wilhelm II, responsable du génocide des OvaroHerero et Nama en 1904 et soutien du génocide des Arméniens.
Le Monument a été enlevé par la ville de Cologne le 19 avril 2018, pour manque d’autorisation préalable. La ville de Cologne a également argumenté, dans le cadre d’une procédure devant le tribunal administratif de Cologne entamée par nous, que le monument devrait être enlevé avant le 24 avril 2018, jour de la commémoration internationale du génocide aux Arméniens, afin d’éviter « le rassemblement de nombreux contre-manifestants » présentant un fort risque pour « la sécurité et la facilité du trafic à cet endroit ». Au vu de la présence de nombreux citoyens turcs à Cologne, la ville aurait déjà en 2017, lors de la mise en place du « Kreuzstein » de la communauté arménienne, refusé expressément une permission de la mise en place dans le domaine public à cause du potentiel de conflit élevé.
Le tribunal administratif de Cologne n’a pas contesté l’enlèvement immédiat du monument du génocide près de la «Hohenzollernbrücke».
Dans notre réponse au tribunal administratif nous avons souligné que nous jugeons cette argumentation comme insulte à une politique de mémorisation et un recul devant ceux qui nient le génocide. Elle contredit diamétralement la demande du Bundestag qui dans sa résolution du 2 juin 2016 demande à la société civile de thématiser la mémoire du génocide aux Arméniens.
Un grand nombre d’organisations et de personnes importantes de la vie culturelle et intellectuelle se sont déclarées parrain ou soutien pour le monument et sa réinstallation.
Nos efforts continuent afin qu’un grand nombre de personnes de la vie civile se réunisse pour exiger de la ville de Cologne la réinstallation du monument du génocide.
LE MONUMENT DOIT RETOURNER A SA PLACE!
Nizaqete Bislimi: Rede im Zuge der Matinee „Völkermorde erinnern – Kriege verhindern“
Rede „Gegen ein leeres Erinnern“ von Nizaqete Bislimi auf der Matinee „Völkermorde erinnern – Kriege verhindern“ am 15.4 2018 im Filmforum NRW im Museum Ludwig
Mein Ur-Großvater hat gegen die Nazis gekämpft. Ich erfuhr davon erst vor kurzem, während der Arbeit an meinem Buch. Bis dahin dachte ich, ich hätte keinen persönlichen Bezug. Meine Mutter erzählte mir während meiner Recherchen, dass ihr Großvater in Jugoslawien gegen die Nazis kämpfte und auch gefallen ist. Also mein Ur-Großvater. Meine Mutter ist in den 50er Jahren geboren, hat diesen Großvater also nicht kennengelernt.
In der Schule lernte ich sehr wenig über den Genozid. In den Geschichtsbüchern wird mit einem Halbsatz erwähnt, das Roma und Sinti ermordet worden. Ich setzte mich also sehr spät erst mit dem Thema auseinander.
Als meine Mutter davon erzählte, war das ein trauriges Gefühl, weil sie nicht und ich auch nicht die Möglichkeit hatten, diesen Menschen kennen zu lernen.
Aber es war auch berührend zu erfahren, dass dieser Mann gegen die Nazis gekämpft hat.
Oft liest man nur von den Opfern, die es gegeben hat. Mein Urgroßvater hat sein Leben gelassen, weil er gekämpft hat, gegen die Nazis. Das war schon sehr berührend.
Die Roma nennen den Genozid Porajmos, was auf deutsch so viel wie »Verschlingen« bedeutet. Wieviele Menschen das betraf und wieviele in nachfolgenden Generationen heute noch betroffen sind, ist unzureichend erforscht. Es wird angenommen, dass 500.000 Menschen ermordet wurden. Diese Zahl ist wie so viele Zahlen in der Politik bis heute umstritten.
Soziale Ausgrenzung, rassistische Diskriminierungen aber auch die zahlreichen und europaweit stattfindenden Vertreibungen, Abschiebungen und sogar Morde an Roma sind keine von einander unabhängigen Einzelereignisse. Sie stehen im Zusammenhang mit einem allgegenwärtigen feindlichen und abwertenden gesellschaftlichen Vorbehalt.
Die Verfolgung durch die Mehrheitsgesellschaft war eine Konstante. Lange vor dem Porajmos. Und auch danach. Mit vielen Abstufungen und Ausprägungen.
In den 50er und 60er Jahren haben die Menschen weitergemacht, die an der Selektion beteiligt waren. Es gab nach wie vor Nazis.
Vielen überlebenden Sinti und ihren Angehörigen wurde kurz nach der Befreiung und nach der Rückkehr aus den Lagern die zuvor aberkannte deutsche Staatsbürgerschaft wieder gegeben. Doch das wurde Anfang der 50er Jahre erneuten Prüfungen unterzogen. Zu großzügig sei man in der Vergabe von Pässen an Überlebende gewesen, fanden die Behörden nun. Dieser rassistische Geiz wirkte auch auf die Praxis der Entschädigungen.
Es dauerte Jahre, bis es zu Entschädigungszahlungen kam. Nach dem Krieg wurden Sinti und Roma von der Bundesrepublik nicht entschädigt, da die Tötungen nicht als Völkermord anerkannt wurden.
Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, hatte anlässlich eines Besuchs beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe im Herbst 2014 darauf hingewiesen, dass sich das Hohe Gericht nach all den Jahren noch immer nicht von diffamierenden Formulierungen eines BGH-Urteils aus dem Jahr 1956 distanziert hatte. Damals hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass Sinti und Roma bis 1943 nicht aus rassistischen Gründen verfolgt worden seien. Die Richter hatten damals argumentiert Sinti und Roma seien nicht aus rassistisch motivierten Gründen von den Nationalsozialisten verfolgt worden, sondern diese Handlungen hätten „polizeiliche Gründe gehabt“. Dies hatte neben der tiefen Beleidigung der Opfer außerdem die Konsequenz, dass an die Überlebenden keine Entschädigungen gezahlt werden mussten. 1963 wurde dieses Urteil revidiert. Erst der Besuch Romani Roses beim Bundesgerichtshof über 50 Jahre später bewirkte eine offizielle Distanzierung dazu.
Im Rahmen eines Besuches in Heidelberg besuchte ich die die Dauerausstellung des Dokumentationszentrums. Die Ausstellung gegen das Vergessen hat mich sehr beeindruckt. Sie ist das Ergebnis einer jahrelangen Bürgerrechtsbewegung.
Der rassistisch motivierte Porajmos wurde erst 1982 durch Bundeskanzler Helmut Schmidt anerkannt. Ausgedacht hatte er sich das nicht selbst, das war kein Geschenk. Die Roma Bürgerrechtsbewegung bestand seit Anfang der 70er Jahre auf ihre Rechte.
In den 60er und 70er Jahren waren viele Roma unter den sogenannten Gastarbeitern. Die sich aber als solche aus Angst vor Ausgrenzung und Diskriminierung nicht zu erkennen gegeben haben. Dieses Verstecken – die Unsichtbarkeit – gibt es bis heute.
Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien ab 1993 vertrieben viele Roma nach Westeuropa und auch nach Deutschland.
Kurzfristiger Schutz wurde zumeist über Erlasse und Duldungen geregelt. Duldung bedeutet aber nichts anderes als Aussetzung der Abschiebung,. Eine längerfristige Aufenthaltsperspektive war nicht vorgesehen.
Kaum waren die Kriege vorbei, sollten die geflüchteten Roma abgeschoben werden. Dagegen wehrten sie sich. Und tun es heute noch.
Ob 1991 oder 2002 in Düsseldorf. Oder 2015 in Berlin am Mahnmal.
Diese Kämpfe führten nicht zum Bleiberecht. Doch sie sind als Erinnerung ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben.
Seit 2012 gibt es in Berlin ein Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas. Es wurde in einem langen und schwierigen Prozess erkämpft. Es war für mich nicht glaubwürdig, als Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede zur Einweihung des Mahnmals der im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti gedachte. Denn wenige Zeit später löste ihr damaliger Bundesinnenminister Friedrich mit einem großen Interview in einer Zeitung erneut die Debatte über Asylmissbrauch von Roma aus.
Ich spreche mich gegen ein leeres Erinnern und ein kaltes Vergessen aus.
Das war der Grundstein für die Konstruktion der sicheren Herkunftsstaaten Serbien, Mazedonien, Bosnien Herzegowina, Montenegro, Albanien und Kosovo.
Seit der Entscheidung für das Gesetz zu den sicheren Herkunftsstaaten sind monatlich hunderte Roma mit Sammelabschiebungen aus Deutschland bedroht und tatsächlich abgeschoben worden. Die nächsten Abschiebungen stehen fest.
Die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im sicheren Herkunftsstaat Kosovo ist für mich ein unauflösbarer Widerspruch. Es zeigt sich ein unmäßiger Wille zur Ignoranz.
Ignoriert wird die Menschenrechtssituation vor Ort. Als Argument verwendbar ist dagegen die hohe Ablehnungsquote in den Asylverfahren, die man selbst produziert hat.
Folge der Einstufung als sichere Herkunftsstaaten sind Schnellverfahren und Unterbringung in Sondereinrichtungen – auf Verladebahnhöfen, im Wald.
Die zynische Prognose einer geringen Bleibeperspektive, der in Paragraphen gegossene Rassismus gegen Roma isoliert Menschen.
Die Not vieler südosteuropäischer Roma ist riesengroß. Das schmerzt.
Heute flüchten manche nach Deutschland. Nach jeder Abschiebung. Erneut. Immer. Wieder. Also nicht neu – sondern eine alte Geschichte: Familienleben in andauernder Migration. Dieses weitestgehend ignorierte Phänomen umfasst und überschattet Generationen, zerreißt Familien. Ihre Geschichte mit Deutschland ist historisch gewachsen. Die Verantwortung des bundesdeutschen Staates ist vielfach. Kein Rückübernahmeabkommen kann an diesem moralischen Fakt etwas ändern.
Alle Roma sind Nachkommen der Opfer des Nationalsozialismus. Unter den Abgeschobenen sind die Nachkommen der Opfer der im Nationalsozialismus ermordeten R und S in der zweiten und dritten Generation.
Wir sprechen uns gegen ein leeres Erinnern und ein kaltes Vergessen aus.
Und wie sieht es in der Realität aus? Die Proteste sind leise. Die Abschiebemaschinerie läuft. Ohne Rücksicht auf Verluste. Ohne Rücksicht auf kranke oder traumatisierte Menschen. Kinder werden aus den Schulen geholt in Flugzeuge gepackt.
Was die Statistik schön macht: die freiwillige Rückreise. Doch Menschen mit Abschiebung zu drohen, wenn sie nicht selbstständig ausreisen, hat mit Freiwilligkeit nichts zu tun!
Für uns Erinnern heißt Abschiebungen zu verhindern.
Proteste, Kundgebungen, Demonstrationen, Gedenkveranstaltungen zu organisieren. Unser Wissen zu archivieren. Unsere Geschichte zu schreiben und unsere Rechte zu fordern.
Wir setzen uns ein für das Recht auf ein sicheres Leben für Roma, aber auch andere Minderheiten, die rassistisch aussortiert werden.
Geht diesen Weg mit uns gemeinsam!
Vielen Dank!!
Das Schicksal der europäischen Roma und Sinti während des Holocaust
Rund 500.000 Roma und Sinti wurden während des Holocaust ermordet als Opfer einer rassistischen Verfolgungspolitik deutscher Nazis und ihrer faschistischen Verbündeten. Doch dieser Völkermord ist heute weitgehend unbekannt. Roma und Sinti wurden in Vernichtungslagern getötet und fielen in Zwangsarbeits- und Konzentrationslagern Hunger und Krankheiten zum Opfer. Viele wurden deportiert und als Zwangsarbeiter ausgebeutet, auf Bauernhöfen, auf Baustellen und in der Industrie. Die Überlebenden wurden jahrzehntelang nicht als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung anerkannt und erhielten nur geringe oder überhaupt keine Entschädigungszahlungen für ihren verlorenen Besitz. Die Homepage bietet grundlegende Informationen für SchülerInnen / LehrerInnen über den Völkermord an den europäischen Sinti und Roma.
Website: www.romasintigenocide.eu
Doğan Akhanlı: »Heute wollen wir ein Gedicht schreiben«
»Heute wollen wir ein Gedicht schreiben«
Dogan Akhanli
Wenn ich nicht nach Deutschland eingewandert wäre, hätte ich mir wahrscheinlich niemals die Verbindung zwischen eigener Vergangenheit, eigenen Erinnerungen und der Vergangenheit, den Erinnerungen der Kurden, Armenier, Aleviten, Juden und Griechen ins Bewusstsein rücken können. Die Verbindungen und die Unterschiede. Ich hätte weiterhin dem Mythos der Gründung der Türkischen Republik Glauben geschenkt und hätte gezögert, das Massaker an den Armenier als Völkermord zu bezeichnen.
Als ich nach Deutschland kam, hatte ich nicht ein einziges Buch über den Genozid von 1915 gelesen, das nicht auf Lügen basierte. Das Land, in das ich einwanderte, und mein Geburtsland, Deutschland und die Türkei, hatten seit Jahrhunderten freundschaftliche Beziehungen unterhalten. Und die Vergangenheit beider Länder war voller Traumata. Doch trotz der jeweiligen historischen Schuld gab es grundsätzliche Unterschiede zwischen beiden Ländern. Während die Vergangenheitsbewältigung und die Erinnerungsarbeit in Bezug auf die eigene historische Schuld und Verantwortung das zweite, das schöne Gesicht Deutschlands war, beharrte die Türkei nach wie vor darauf, einen der beiden bestuntersuchten, bestdokumentierten Völkermorde dieser Erde, den an den Armeniern, für den sie Verantwortung trug, zu leugnen, und weigerte sich beharrlich, sich diesem historischen Unrecht zu stellen.
Erstmals 1999 wurde, in der Kölner Aufarbeitungsgeschichte, eine Veranstaltungsreihe „Genozid und Gedenken“ zum Thema Völkermord an den Armeniern organisiert. Jeder von uns, die aus der Türkei stammten, kannte mindestens eine Geschichte über Gräueltaten an den Armeniern, hatte sie schon als Kind oder später als junger Mensch oder noch später als Erwachsener gehört. Aber egal ob man Linksradikaler war, Nationalist oder frommer Muslim: es existierte damals eine unausgesprochene Übereinkunft, die für alle galt: Ignorieren, Schweigen, Leugnen, sobald die Vernichtung der Armenier von 1915-1916 zur Sprache kommt. Die Nationalisten und Ultrarechtnationalisten wollten diese Auseinandersetzung torpedieren, indem sie Veranstaltungen zu sprengen versuchten. Doch es gelang ihnen nicht.
Nach der Veranstaltungsreihe „Genozid und Gedenken“ wurde die Idee geboren, im ehemaligen Kölner Gestapogefängnis, dem heutigen NS- Dokumentationszentrum der Stadt, regelmäßig türkischsprachige Führungen anzubieten. In den Führungen wurden Antworten auf Fragen gesucht wie diese: Ist die Holocaust nur eine jüdisch-deutsche Geschichte oder/und auch eine transnationale Geschichte? Ist der Völkermord an den Armeniern für Deutschland eine „fremde“ Geschichte? In der Ausstellung des NS-Dokumentationszentrums gibt es Dokumente, die zeigen, wie sehr die Geschichte des Holocaust auch eine deutsch-türkische ist. Über Salomon Freud zum Beispiel. Er wurde am 24. September 1884 in Konstantinopel geboren und besaß die türkische Staatsangehörigkeit, ebenso wie seine Frau Hedwig und sein Sohn Alfred. Die Familie Freud siedelte nach Deutschland über und wohnte bis 1939 in Köln. Hedwig, Salomon und Alfred Freud wurden am 3. September 1942 zuerst nach Theresienstadt und dann nach Auschwitz deportiert und gelten als „verschollen.“ Ihr Schicksal ist kein Einzelfall. Während der Shoah wurden über 3.000 türkische Bürger in Europa ermordet (Guttstadt 2008).
Ein Exponat in der Dauerausstellung in Köln erzählt uns, dass Adolf Hitler und Franz von Papen am 4. Januar 1933 Gespräche über eine gemeinsame Regierungsbildung in einer Villa führten (Stadtwaldgürtel 35). Franz von Papen war im Ersten Weltkrieg von 1915 bis 1918 Stabschef der 4. Türkischen Armee. Mit dem Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk besuchte er Palästina, ab April 1939 war er Botschafter in Ankara (Gottschlich 2015). Die türkischen Streitkräfte im Ersten Weltkrieg standen weitgehend unter deutschem Oberbefehl. Zum Beispiel unter dem von General Otto Liman von Sanders, der im „Prozess Talaat Pascha“ als Sachverständiger auftrat (Hofmann 1980). Die wahren Täter des Völkermords (unter ihnen Talat, Enver und Cemal Paşa) flohen mithilfe der Deutschen nach Berlin. In dem Jahr, in dem ein junger Mann namens Raphael Lemkin mit dem Jurastudium begann, wurde der Hauptverantwortliche der Armenier-Deportationen, Unterzeichner der Deportationsbefehle, Innenminister und Großwesir Talat Paşa, am 15 März 1921 in der Hardenbergstraße in Berlin von Soghomon Tehlirian erschossen.
Lemkins späterer Kommentar zu diesem Ereignis war: „Der Talat-Paşa-Prozess von 1921 war sehr lehrreich. Ein Mann, dessen Mutter beim Völkermord getötet wurde, Soghomon Tehlirian, tötet Talat Paşa. Sehen Sie, als Rechtsanwalt habe ich gedacht, dass ein Vergehen nicht durch das Opfer, sondern durch ein Gericht, durch nationale Justiz bestraft werden müsste.“ Den Einfluss des Völkermords an den Armeniern auf die Formulierung der Völkermordkonvention beschreibt Lemkin folgendermaßen: „Das Leid der armenischen Männer, Frauen und Kinder, die in den Euphrat geworfen oder auf dem Weg nach Deir ez-Zor massakriert wurden, war der Wegbereiter zur Annahme der ‚Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes‘.“
Raphael Lemkin verlor als schwuler Jurist alle Angehörigen (mit Ausnahme seines Bruders und seiner Schwägerin) im Holocaust. Er starb 1959, völlig verarmt, in New York. Auf seinem Grabstein steht: Father of the Genocide Convention.
In der 256 Seiten umfassenden Urteilsschrift der Nürnberger Prozesse, bei denen die Hauptkriegsverbrecher des Nazi-Regimes vor Gericht gestellt wurden, sind der Vernichtung der europäischen Juden lediglich drei Seiten gewidmet. Der Begriff Völkermord wird in der Anklageschrift dieses Prozesses erstmalig verwendet. Es ist das erste offizielle Dokument, in dem erwähnt wird, dass es sich bei dem Völkermord an den Armeniern um „den ersten Genozid des Jahrhunderts (handelt), bei dem 1,4 Millionen christliche Armenier auf Befehl der türkischen Regierung getötet wurden“.
Trotz der unverzeihlichen Schwächen der Sicherheitsbehörden, die die NSU-Morde sowie ähnliche Übergriffe und Anschläge nicht verhindern konnten, hat die heutige Erinnerungskultur Deutschlands nicht nur für das Land selbst, sondern auch auf internationaler Ebene große Bedeutung. Die NSU-Morde sind gleichzeitig auch eine bittere Warnung, nicht zu vergessen, dass Erinnerungskultur nicht statisch ist, sondern ein Prozess, in dessen Verlauf jede Generation ihre Art, ihre Mittel der Geschichtsaufarbeitung immer wieder überdenken und weiterentwickeln muss.
Die Geschichtsaufarbeitung der Türkei ist eine Erfahrung der Leugnung, die eine wissenschaftliche Untersuchung wert wäre.
“Es giebt andererseits auch sehr wenig Türken,“ schrieb der Korrespondent der „Kölnischen Zeitung“ (Tyszka ) am 15.9.1915, „mit denen man offen über die Armenierfrage reden kann, gleich bricht selbst bei sonst gebildeten und weltgewandten Menschen eine Wut durch, die alles in einen Topf wirft und die immer mit dem Refrain endet: „Alle Armenier gehören ausgerottet, sie sind Verräter!“ [Dokumente aus dem Politischen Archiv des deutschen Auswärtigen Amts / “1915-09-05-DE-001/Quelle: PA-AA/R 14087; A 27887, pr. 24.9.1915 p.m.;]
Der Hass, der immer noch aktuell ist, mit dem in der Türkei nicht-türkischen, nicht-muslimischen Mitbürgern begegnet wird, erinnert an die Worte des israelischen Psychoanalytikers Zvi Rix: Auschwitz werden uns die Deutschen niemals verzeihen! Denn die Juden waren lebende Beweise des Geschehenen, die die Deutschen ständig an ihre Schuld erinnerten. Mit hoher Sensibilität wurde Verantwortung übernommen, wurden wichtige Maßnahmen ergriffen, Mittel und Wege zur Wiedergutmachung zu finden und auf Opfer und Überlebende des Holocausts zuzugehen. Währenddessen beharren diejenigen, die die türkische Identität überbewerten, seit hundert Jahren darauf, den Armeniern das Konzentrationslager Deir ez-Zor, das 1915/16 in der syrischen Wüste eingerichtet war, niemals zu verzeihen. Diese Herzensblindheit, vermengt mit dem Schlamm aus Leugnung und Lügen, produziert Mörder. Weil die größte Schuld unserer modernen Geschichte nicht aufgearbeitet wurde, weil kein Weg gefunden wurde, mit der Schuld umzugehen, bleiben nicht nur der Staat mit seinen Institutionen, sondern auch die Gesellschaft zu Gewalt und Mord verdammt. Vor unsert Augen wurde Hrant Dink erschossen, wurde der Mörder als Held gefeiert, ließen sich Polizisten mit ihm neben der türkischen Flagge fotografieren, feierten sie den Mord mit dem Absingen der Nationalhymne. In Malatya wurden Mitarbeiter einer Bibel-Druckerei abgeschlachtet, in Trabzon wurde ein italienischer Mönch ermordet. Selbst nach dem Tod von 50 000 Menschen wurden den Kurden die grundlegendsten Rechte vorenthalten. Die Wüste von Deir ez-Zor hörte nach einem Jahrhundert nicht auf, Menschen, nun auch andere Ethnien, zu schlucken.
Es war politisch und moralisch nicht hinnehmbar, dass Deutschland, trotz der Erfahrung der Geschichtsaufarbeitung, die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern bis ins Jahr 2016 hinausgezögert hat.
Es ist soweit.
Den Holocaust in Verbindung mit dem Völkermord an den Armeniern zu betrachten, bedeutete heute keine Relativierung der Schoah, sondern eine Erweiterung und Vertiefung der deutschen Aufarbeitung, die aber nicht mehr nur deutsch bleiben sollte. Denn die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts, des Jahrhunderts der Völkermorde, sollte Teil der Holocaust Education sein, und die Beschäftigung damit sollte aus dem nationalen Rahmen in einen transnationalen übertragen werden. Auschwitz verwandelte den Versuch, weiterhin Gedichte zu schreiben, zwar in Barbarei (wie Adorno sagte), aber der einzige Weg, die Existenz von Auschwitz zu ertragen und sich zur Wehr zu setzten, besteht darin, trotz Auschwitz Gedichte zu schreiben.
Und heute wollen wir ein Gedicht schreiben. Das ist der Sinn der Veranstaltung.
Über den Sinn der Matinee „Dieser Schmerz betrifft uns alle“
Matinee „Dieser Schmerz betrifft uns alle. Völkermorde erinnern, Kriege verhindern“
(Albrecht Kieser, Moderator)
Warum haben wir hierher eingeladen? Weil wir uns Sorgen machen. Weil wir den Eindruck haben, dass Deutschland an einer Scheidelinie steht.
Rassismus und Nationalismus werden wieder in beängstigendem Maße hoffähig. Große Teile der etablierten Politik lassen sich von der rechtsradikalen AfD antreiben und wenn Seehofer sich zum Vorkämpfer gegen Muslime in Deutschland stilisiert, dann ist das nur die Spitze des Eisberges.
Rassismus und Nationalismus sind Geisseln der Menschheit, Peitschen also, Plagen. Wir erleben auch in anderen Ländern täglich, wie diese Geisseln zielbewusst eingesetzt werden: Zur Stabilisierung maroder Herrschaftsapparate wie in den Vereinigten Staaten des Donald Trump, zur Rechtfertigung imperialer Kriegsmaßnahmen wie in Erdogans Reich oder zur Legitimierung flüchtlingsfeindlicher Innenpolitik, nicht nur von Ungarns Orban.
Sondern eben auch in Deutschland. Die Ihnen wahrscheinlich bekannte „Gemeinsame Erklärung 2018“ aus dem rechten bis rechtsradikalen Milieu sammelt hinter zwei Sätzen Leute wie Henryk M. Broder, Uwe Tellkamp, Thilo Sarrazin, Bassam Tibi oder Vera Lengsfeld und gut 100.000 weitere Unterzeichnerinnen und Unterzeichner.
Diese Leute wollen mit ihren zwei Sätzen einen Sturm entfachen, der hinweg fegen soll, was ihnen nicht passt: Flüchtlinge. Die Sätze lauten: „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“
Nichts davon stimmt. Im Gegenteil: Die deutschen Grenzen sind spätestens seit dem Herbst 2015 wieder mörderisch dicht. Illegale Masseneinwanderung findet in keiner Weise statt, nicht einmal legale gibt es noch. Und beschädigt wurde im Sommer 2015 bestenfalls die Illusion, Deutschland sei unschuldig an den Ursachen weltweiter Migration und könne sich in ein nationales Wolkenkuckucksheim davon stehlen.
Die zwei Sätze der „Erklärung 2018“ offenbaren die Kernmethode von Rassisten und Nationalisten: die Realität durch verbale Pyrotechnik vernebeln und die Geschichte der grausigen Folgen ihrer altbackenen politischen Vorschläge mit denselben Mitteln unkenntlich machen.
Als wir die Matinee konzipiert haben, lag diese Erklärung noch nicht vor. Und obwohl sie sich scheinbar einem anderen Thema widmet als dem unsrigen, ist der Zusammenhang doch offensichtlich. Dieselben Kreise, die diese Erklärung produziert haben, fordern – Zitat – „eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ und verlangen ein Ende des von ihnen so genannten „Schuld-Kultes“.
Was wirklich Angst macht: das ideologische Zusammenspiel von Rassisten, Nationalisten und Geschichtsleugnern ist nicht auf rechtsradikale Kreise beschränkt. Im niedersächsischen Bergen hat der Stadtrat ein jahrelang vorbereitetes Kooperationsprojekt mit der Gedenkstätte Bergen-Belsen im November 2017 mit den Stimmen von CDU und Grünen abgelehnt. Der Geschäftsführer des Stiftungsrates der Stiftungen Niedersächsischer Gedenkstätten Jens-Christian Wagner sagt dazu, ich zitierte: „Die Stadträte…waren mehrheitlich recht jung. Keiner von ihnen leugnet die NS-Verbrechen. Trotzdem hat sich etwas verschoben: Das Bewusstsein, dass die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen grundlegend ist für unser demokratisches Selbstverständnis; dieses Bewusstsein und damit das Gefühl der Verantwortung schwinden – weit über die AfD hinaus.“
Wer zurück will zu einem starken völkischen Staat, muss nicht nur alles „Volksfremde“ ausmerzen. Er muss auch die Geschichte seines Staates von dessen offensichtlichen Verbrechen reinigen. Der Historiker Volker Weiß sagte dazu kürzlich: „Die eigene Nationalgeschichte soll als glorreiche Geschichte ohne Makel und ohne Schatten erinnert werden.“
Zu den grausamsten staatlichen Verbrechen Deutschlands gehören die Genozide an seinen vermeintlichen, tatsächlichen oder erklärten Gegnern. Deshalb wollen völkische Nationalisten die Genozide, die unter deutscher Führung oder deutscher Mithilfe verübt wurden, aus der lebendigen Erinnerung herausdrängen.
Wir wollen das Gegenteil.
Wir wollen eine staatskritische Erinnerungskultur erhalten und ausweiten. Auch weil wir glauben, dass das Wissen über die Geschichte der genozidalen Folgen von Rassismus und Nationalismus hilft, rassistische Ausgrenzungen in der Gegenwart besser zu erkennen und sie zu bekämpfen und nationalistische Mobilmachungen für Kriege zu behindern.
Presseerklärung: „Dieser Schmerz betrifft uns alle – Völkermorde erinnern, Kriege verhindern“
Matinee „Dieser Schmerz betrifft uns alle. Völkermorde erinnern, Kriege verhindern“
15. April 2018, 11.00 Uhr, Filmforum NRW, Köln
Alte und neue Nationalisten betreiben mit großer Energie eine erinnerungspolitische Wende, um das Gedenken an deutsche Menschheitsverbrechen zu löschen.
Die Veranstaltung „Völkermorde erinnern – Kriege verhindern“ am 15.4. um 11 Uhr im Filmforum NRW Köln (Museum Ludwig) stellt sich gegen die Rückkehr zu verlogenen Geschichtsbildern.
Denn wo heute in Europa die staatskritische Erinnerungskultur ins Abseits gedrängt wird, blüht der aggressive und völkische Nationalismus auf.
Wir sprechen auf dieser Veranstaltung vom Wert und von der Unverzichtbarkeit einer kritischen Erinnerung an die genozidalen Folgen von Rassismus und Nationalismus, weil wir auch für gegenwärtiges staatliches Unrecht wach und mit dessen heutigen Opfern empathisch bleiben wollen.
Auf der Matinee werden Filmausschnitte von Aghet (Eric Friedler), Skulls of my people (Vincent Moloi) und A people uncounted (Aaron Yeger) gezeigt.
Redebeiträge für das Erinnern und gegen das Verschweigen halten Israel Kaunatjike (Namibia-Aktivist, zum Völkermord an OvaHerero und Nama), Dogan Akhanli (Schriftsteller, zum Völkermord an den Armeniern), Peter Finkelgruen (Schriftsteller und Autor, zur Shoah) und Nizaqete Bislimi (Vorsitzende des BundesRoma-Verband e.V., zum Genozid an den Roma und Sinti).
Musikalisch gerahmt wird die Matinee durch Beiträge des kurdischen Gitarrenduos Meral & Evin.
Veranstalter: Initiative Völkermord Erinnern; recherche international e.V., FilmInitiativ Köln e.V.
Unterstützt von: Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Kulturforum TürkeiDeutschland e.V., Jugendclub Courage e.V., Anerkennung Jetzt!
www.voelkermord-erinnern.de;
Wir bitten freundlich um Berichterstattung.